Schottische Engel: Roman (German Edition)
habe ich kein Verständnis. Einigen Sie sich oder gehen Sie. Wer bis heute Abend nicht am Drehort ist, kann sich als entlassen betrachten. Ohne Honorar selbstverständlich.«
Empörte Zurufe, weinerliches Klagen, derbe Kommentare, die sich aber nie gegen McClay richteten, sondern immer gegen andere Mitarbeiter, flogen kreuz und quer durch den Raum, bis McClay aufstand und – alle übertönend – erklärte: »Wer heute Abend pünktlich am Set sein will, muss jetzt aufbrechen.« Dann drehte er sich um, bat Mary, ihm zu folgen, und verließ den Konferenzraum. Er führte sie zu seiner Suite und ging ans Fenster. Wenig später starteten die Autos vor dem Rondell. »Siehst du, sie haben verstanden, dass ich es ernst meine. Sie werden heute Abend pünktlich dort bei den Aufnahmen weitermachen, wo sie gestern Nacht aufgehört haben.«
Mary schwieg. Sie war erschrocken, verwirrt und deprimiert. Diesen McClay kannte sie noch nicht, und sie wusste nicht, ob sie ihn überhaupt kennenlernen wollte. Das war ein Chef, der wenig Verständnis zeigte, der Minuten nach Geld bewertete und Klagen einfach ignorierte.
Plötzlich legte er seine Hand auf ihre Schulter und deutete aus dem Fenster. »Da kommt Angela, ich habe sie schon vermisst. Aber das ist typisch für sie, nur nicht in der Masse auftreten, sie braucht immer eine Bühne für sich allein.« Draußen fuhr ein Bentley vor. Ein Chauffeur sprang aus dem Wagen und öffnete die hintere Tür. Zuerst sah Mary nur ein paar überlange Beine in weißen, hochhackigen Pumps, ihnen folgten ein moorgrüner Rock, dann eine gleichfarbige Jacke mit weißer Bluse und dann ein riesiger moosgrüner Hut mit weißem Band. Lange, mahagonirote Haare fielen auf die moosgrüne Jacke, vom Gesicht sah Mary gar nichts. Hände in weißen Glaceehandschuhen hielten ein weißes Täschchen.
Fragend sah Mary den Mann an ihrer Seite an.
»Das ist Angela Borell, die Diva. Ich muss sie begrüßen, möchtest du mitkommen?«
»Nein, ich werde einen kleinen Spaziergang machen. Ich muss mich noch von den anderen Gästen erholen.«
»Kann ich verstehen. Wir sehen uns später.« Er drehte sich um und verließ die Suite. Mary ging in ihr Zimmer, holte ihren Trenchcoat und ging nach unten. Aus dem Büro hörte sie Stimmen, aber sie verließ so schnell wie möglich das Haus. Noch eine Auseinandersetzung hätte ihr Höflichkeitsempfinden und die Toleranzgrenze gesprengt.
Langsam verließ sie das Grundstück und erreichte die schmale Straße, die nach rechts in die Berge führte. An der Böschung blühten kleine gelbe Primeln in üppigen Büscheln. Grashalme durchbrachen den aufgetauten Winterboden. Steinwälle und Buschhecken mit winzigen grünen Knospen begrenzten etwas oberhalb die Straßenränder. Mary kletterte die Böschung hinauf, um einen Blick auf die dahinterliegenden Wiesen zu werfen. ›Tatsächlich‹, freute sie sich. Der Lord hatte recht, erste Lämmchen tummelten sich auf den kaum grün gefärbten Weiden. Meckernd sprangen sie um die Mutterschafe herum, tobten miteinander und rannten um die Wette, stolperten, rafften sich wieder auf, holten sich ein paar Schlucke Milch und tobten weiter. Ein Border-Collie hatte alle Mühe, seine kleine Herde zusammenzuhalten. Etwas entfernt sah Mary den Schäfer stehen. Als sie die Weide betrat, um etwas näher an die kleinen Schafe heranzukommen, knurrte der Hund sie warnend an. Aber der Schäfer pfiff ihn zurück, und Mary winkte ihm dankbar zu. Vorsichtig, um die Tiere nicht zu stören, ging sie ein paar Schritte weiter. Aber die Schafe, die alten wie die jungen, waren ängstlich und zogen sich vor der fremden Person zurück, die so gar nicht nach Stall und Schafen und Futter roch. Schließlich erreichte sie den Schäfer, der, auf seinen langen Stab gestützt, ihr Näherkommen beobachtet hatte. Zwei weitere Collies lagen neben ihm und verfolgten jeden ihrer Schritte.
Mary begrüßte ihn höflich. Dann lächelte sie. »Ich habe seit vielen Jahren keine Lämmchen mehr gesehen. Ich lebe in Edinburgh, da vergisst man, wie entzückend sie sind.«
»Großstadtmenschen wissen gar nicht, was sie versäumen«, nickte er.
»Ja, Sie haben recht. Manchmal vergesse ich sogar, welche Jahreszeit wir gerade haben. Irgendwann werden die Bäume grün, dann welken sie, und dann verlieren sie ihr Laub. Im Sommer ist es warm und im Winter ist es kalt, das ist dann alles.«
»Dann sind Sie arm dran, Miss.«
»Früher, als Kind, war ich oft bei meinen Großeltern auf dem Land,
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