Schottische Engel: Roman (German Edition)
Leben – Herrgott, wovon will sie leben? Wie stellt sie sich die Zukunft vor?‹
Es wurde bereits hell, als er in einen unruhigen Schlaf fiel.
James Grantino verschlief zum ersten Mal während seiner Tätigkeit als Arzt. Er hörte keinen Wecker und kein Telefon, und erst als Emmi, die Zugehfrau, ihn an der Schulter rüttelte, fuhr er aus einem wirren Traum hoch.
»Doktor, Doktor, Sie müssen aufstehen, es ist fast Mittag.«
»Was? Um Himmels willen, was ist denn los?«
»Das Telefon klingelt dauernd, und an der Haustür war auch schon zweimal jemand. Aber ich habe weder geöffnet noch das Telefon bedient. Sie sagten ja mal, ich soll mich darum nicht kümmern.«
»Aber warum haben Sie mich nicht früher geweckt?«
»Ich dachte, Sie hätten Nachtdienst, und da wollte ich nicht stören. Aber jetzt bin ich unten fertig und wollte die Zimmer hier oben in Ordnung bringen. Und da fand ich in Ihrem Bett eine schlafende Dame und dann Sie hier.« Sie kicherte: »Hat das etwas zu bedeuten?«
»Ja, Emmi, die Dame ist sehr verletzt und kam in der Nacht her, weil sie Hilfe brauchte. Ich hab sie in meinem Bett einquartiert, weil mein Schlafzimmer direkt neben dem Bad ist, da konnte ich sie besser behandeln.«
»Ach so.«
Hörte er da eine gewisse Enttäuschung? Er ahnte, dass Emmi seit Monaten auf der Suche nach einer passenden Frau für ihn war. Ob es ihr Mutterinstinkt war oder ihr Fürsorgegefühl, er wusste es nicht. Er wusste nur, dass die gute alte Emmi ihn liebte, wie eine Mutter ihren Sohn liebt.
»Wir lassen die Dame so lange wie möglich schlafen. Je länger sie still liegt, umso besser ist es für ihre Wunden. Ich dusche jetzt, und Sie machen mir bitte den Lunch. Und dann muss ich sehen, was in der Klinik los ist und wer mich sprechen wollte. Aber kein Wort zu niemandem über die Dame in meinem Bett.«
»Kein Wort, ist doch klar!« Emmi ging nach unten, um das Essen vorzubereiten. Grantino sah nach Isabelle. Sie lag in seinem Bett, wie er sie verlassen hatte, und schlief. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er ihr vielleicht zu viel Beruhigungsmittel in das zweite Glas Cognac getröpfelt hatte, aber an ihren ruhigen Atemzügen erkannte er sofort, dass sie ganz friedlich schlief. ›Das wird ihr guttun‹, überlegte er, ›wer weiß, wie lange sie keine ruhige Nacht mehr hatte.‹
Er duschte und zog sich an, dann ging er nach unten und kontrollierte den Anrufbeantworter. Mark Wallance, Arzt wie er in der Klinik von Professor Lloyd, hatte dreimal versucht, ihn zu erreichen.
Er setzte sich neben den Anrufbeantworter und drückte auf die Tasten. Gleich darauf hörte er die besorgte Stimme seines Freunds während des Frühdiensts. »Mensch, James, wo bleibst du denn? Hier ist die Hölle los, und du fehlst an allen Ecken und Enden.« Der zweite Anruf kam gegen neun Uhr. »He, James, wo steckst du? Wir brauchen dich, der Professor ist nicht gekommen, und nun fehlst du auch noch. Bitte melde dich.« Der dritte Anruf war um elf Uhr erfolgt. »James, melde dich, hier kreisen fürchterliche Gerüchte. Dem Professor sei die Frau abhanden gekommen, und man bringt dich irgendwie damit in Verbindung. Sei vorsichtig. Schalte dein Handy ein, falls du unterwegs bist.«
›So schnell geht das also‹, dachte James und rief Emmi. »Wenn es klingelt, öffnen wir nicht die Tür. Lassen Sie sich auch nicht am Fenster sehen. Ziehen Sie, wie sonst auch, die Vorhänge zu, wir sind ganz einfach nicht da.«
»Ist gut, Doktor. Hat das was mit der Dame oben zu tun?«
»Ja, anscheinend wird sie gesucht. Aber sie ist meine Patientin, und das geht keinen etwas an.«
Emmi nickte verständnisvoll. »Ich hab' ihren Rücken gesehen. Die Ärmste.«
James nahm etwas Rührei und Brot zu sich. Der Kaffee tat ihm gut. Während er aß, überlegte er, wie es weitergehen sollte. ›Ich kann sie in die Hütte am St. Mary's Loch bringen, da ist sie vielleicht ein paar Tage sicher, da können die Wunden heilen. Aber lange kann sie da nicht bleiben. Und wie kriege ich sie hin? Wenn der Professor Verdacht schöpft, lässt er mein Haus beobachten. Es wird auf jeden Fall eine Nacht- und Nebelaktion, aber allein schaffe ich das nicht. Ich brauche Hilfe. Ob Mark mir hilft?‹
Als Emmi das Geschirr abräumte, bat er sie: »Bitte packen Sie alles, was wir an Lebensmitteln haben, in einen Karton. Außerdem Bettzeug, Handtücher, Decken, Waschzeug und was Ihnen sonst noch einfällt, was eine Frau irgendwo in der Einsamkeit brauchen könnte. Sie werden
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