Schottisches Feuer
die Pferde für die Reise vorbereiteten, wurde Duncan mehr als einmal von nur einem einzigen jungen Clansmann bewacht. Der Junge hatte noch kaum Bartstoppeln am Kinn. Duncan war gut einen Kopf größer und hatte mindestens vierzig Pfund mehr Muskelmasse. Er hätte den Jungen überwältigen können, selbst wenn er an Armen und Beinen gefesselt gewesen wäre.
Einmal setzte Colin ihn mit dem Rücken an einen Baum, gleich neben einem scharfkantigen Felsen. Duncan hätte das Seil um seine Handgelenke in wenigen Minuten durchscheuern können.
Er wünschte sich, er könnte dies als ein Zeichen brüderlicher Ergebenheit werten, doch er fürchtete, dass eine weit schändlichere Absicht dahintersteckte. Er vermutete, Colin wollte ihn zu einem Fluchtversuch ermutigen, damit er einen Vorwand hatte, ihn zu töten.
Während sie die von Bäumen gesäumte Straße entlangritten, die sie nach Norden führte, wuchs diese Überzeugung in Duncan immer mehr. Anstatt Duncan über ein Pferd zu werfen und es am Zügel zu führen, hatte Colin angeordnet, dass Duncans Fesseln so weit gelockert wurden, dass er reiten konnte. Obwohl die Straße breit genug war, dass drei Pferde nebeneinander gehen konnten, befahl Colin Zweierreihen mit Duncan am Ende, doch Colin blieb stets nahe genug, um einen Schuss abgeben zu können. Sein Bruder gab sich größte Mühe, unaufmerksam zu wirken, doch Duncan spürte seine unablässige Wachsamkeit. Er war wie eine Schlange, die sich zusammengerollt hatte und auf die kleinste Bewegung wartete, um zuzuschlagen.
Tatsächlich wurde die Gereiztheit seines Bruders immer schlimmer, je länger die Reise dauerte und je dunkler die Nacht wurde. Er zuckte bei jedem Geräusch zusammen, schleuderte unstete Blicke in die Dunkelheit. Ständig huschten seine Augen hierhin und dorthin – fast als erwartete er, dass jeden Augenblick ein Geist hervorspringen könnte.
Vielleicht tat er das auch. Duncan erinnerte sich daran, was Jamie über die MacGregors und Niall Lamont gesagt hatte. Colins Unbehagen war nicht unbegründet. Mehr als einmal hatte Duncan das deutliche Gefühl, dass sie beobachtet wurden.
Als Colin das Tempo erhöhte und dem Mann neben ihm befahl, sich zurückfallen zu lassen und hinter ihnen Ausschau zu halten, nutzte Duncan die Gelegenheit. Er füllte die entstandene Lücke und ritt an die Seite seines Bruders.
»Hast du es so eilig, mich nach Inveraray zu bringen, oder willst du nur schnell von der Straße herunterkommen?«
Colin sah nicht erfreut aus über diese Beobachtung. Es gefiel ihm nicht, dass Duncan seine Schwäche bemerkt hatte. »Du dagegen, Bruder, wirkst überraschend gelassen für einen Mann, der nur Stunden vom Galgen entfernt ist.«
Duncan zuckte die Schultern. »Ich bin bereit dafür, dass die Wahrheit ans Licht kommt.«
Die plötzlich aufflackernde Beunruhigung im Blick seines Bruders entging ihm nicht. »Was für eine Wahrheit?«
»Ich habe meinen Clan nicht verraten. Jemand anders hat die Karte gestohlen und sie Grant gegeben.«
»Und wer?«
»Ich weiß es nicht.«
»Was hast du für Beweise dafür?«
»Keine außer meinem Wort.«
Colin lachte – vor Erleichterung? »Und du glaubst, das wird ausreichen, um dein Leben zu retten? Du hast vergessen, wie unser Cousin ist. Wenn ich du wäre, würde ich auf etwas anderes als nur mein Wort setzen.«
Duncan betrachtete ihn mit bohrendem Blick. »Wenn ich es nicht besser wüsste, Bruder, könnte ich meinen, du willst, dass ich fliehe.«
Colin zuckte nicht mit der Wimper. »Und warum sollte ich das wohl wollen?«
»Sag du es mir. Was hättest du davon, Colin? Was hoffst du zu gewinnen, wenn du mich auslieferst?«
Ein wütendes Rot überzog sein Gesicht im trüben Mondlicht. »Ich hoffe gar nichts. Ich tue nur meine Pflicht meinem Cousin gegenüber, das ist alles. Das ist kein Vergnügen für mich.«
»Ist es nicht?« Er wünschte, er könnte das glauben. »Du weißt, dass ich nicht getan habe, was man mir vorwirft.«
»Ich weiß, dass du verurteilt und für schuldig befunden wurdest.«
»Welchen Grund sollte ich für den Verrat an unserem Clan haben?«
»Eifersucht. Du warst wütend über meine Verlobung. Wütend darüber, dass Vater dich das Mädchen, das du liebtest, nicht heiraten ließ.«
»Nur weil du als Erster zu ihm gegangen bist. Warum hast du das getan, Colin? Warum hast du diese Verlobung angestrebt, obwohl du wusstest, dass ich sie liebe?« Colins Mund wurde schmal, und ein sturer Ausdruck trat auf sein Gesicht.
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