Schottlands Wächter (German Edition)
den weisen Frauen vorbei getrieben und gesegnet. Als sich die Herden wieder beruhigt hatten, führten sie ein paar halbwüchsige Jungen zurück ins Tal.
Kaylee zeigte auf die umliegenden Hügel. „Sieh, dort sind noch andere Beltaine-Feuer und überall werden jetzt die Tiere gesegnet. Dieses Jahr kann echt nichts schief gehen.”
Bryannas Augen brauchten einen Moment, um sich vom hellen Feuerschein auf die Dunkelheit einzustellen, aber dann sah sie die Lichtpunkte, die wie herabgefallene Sterne wirkten.
„So viele”, flüsterte sie.
„Die Feuer brennen nicht nur in Alba. Auch andere Länder kennen die Cailleach und Bride, wenn sie auch andere Namen benutzen”, sagte eine der weisen Frauen. Sie nahm Bryanna am Arm und führte sie zu den Feuern. „Bald ist es Zeit, dir den rechten Weg zu zeigen.”
„Werde ich Morag dann finden?”
„Über kurz oder lang werden sich eure Wege kreuzen.”
Kaylee stemmte die Hände in die Hüften. „Je schneller, desto besser.” Sie zeigte auf ein paar Frauen, die einen Teig durchkneteten, ihn zu flachen Kuchen formten und sie zum Rösten auf einen Stein in die Glut legten. „Der Beltaine-Kuchen ist das letzte Ritual bevor im Morgengrauen alle ihren Teil vom Feuer nach Hause tragen.
„Noch mehr zu essen?”, fragte Bryanna und sah Kaylee an.
„Die Kuchen werden in so viele Stücke geteilt, wie Erwachsene da sind. Ein Stück wird mit Kohle geschwärzt und alles in eine Mütze getan. Wer das schwarze Stück zieht, ist in diesem Jahr das Beltaine-Opfer und muss dreimal über die Flammen springen.”
„Das ist heute nicht nötig”, sagte die Frau und führte Bryanna dichter ans Feuer. „Für heute steht das Beltaine-Opfer bereits fest.”
Bryanna spürte die Hitze der Flammen auf ihrem Gesicht. Mit jedem Atemzug strömte Hitze in ihren Hals. Aschekrümel brannten auf ihrer Zunge. Sie hustete. Mit zitternden Knien stand sie vor dem riesigen Feuer und starrte es an. Da kann ich nie im Leben hinüber springen .
Die Frau legte die Hand auf ihren Arm. „Sei ohne Sorge. Was auch geschieht, Bride ist mit dir.”
Die Worte der Frau beruhigten Bryanna. Sie erinnerten sie daran, dass ihr Bride in der Vision versprochen hatte, sie zu beschützen. Obwohl sie sich nicht erklären konnte, woher diese Sicherheit kam, wusste sie, dass ihr nichts geschehen würde. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah zu den Funken, die den Sternen entgegen flogen.
„Spring später, die Flammen sind noch zu hoch”, rief Kaylee.
„Hab keine Angst, Kaylee. Mir wird nichts passieren.” Bryanna trat ein paar Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen. Starke Männerhände packten ihre Oberarme, hoben sie vom Boden und schwangen sie vor und zurück.
„Lasst mich runter. Ich kann das alleine”, sagte sie zu den beiden Männern. In diesem Moment wurde sie losgelassen und flog in hohem Bogen mitten ins Feuer. Bryanna sah die Flammen auf sich zu rasen und schrie. Wie ein Echo folgte ihr Kaylees Schrei.
„Hab keine Angst. Ich bin bei dir”, hörte sie Brides Stimme. „Wehre dich nicht, spüre das Feuer und lasse dich von den Flammen reinigen.”
Für einen winzigen Augenblick spürte Bryanna ihre Angst, dann verpuffte die aufsteigende Panik wie Wasserdampf. Die Glut fing Bryanna auf, wie ein Federbett. Die magische Ruhe, mit der Bryanna den Berg bestiegen hatte, kehrte zurück. Sie legte sich auf den Rücken und genoss das Gefühl in Magie eingehüllt zu sein. Entfernt hörte sie den Jubel der Männer und Frauen, die um die Flammen tanzten. Eine undeutliche Gestalt wurde von mehreren Leuten daran gehindert, ihr in die Flammen zu folgen.
Wie lieb. Kaylee will mich retten , dachte Bryanna. Sie sah die Glut, spürte die Flammen über ihren Körper wandern und hatte keine Angst. Das Feuer nahm ihre Kleidung mit und hinterließ ein warmes Kribbeln auf ihrer Haut. Sie fühlte sich wie ein Kind im Schoß der Mutter, geborgen und behütet. In ihrem Herzen hörte sie Brides Stimme. Sie schloss die Augen und lauschte ihren Worten, die wie der Name des Wassers in ihrem Kopf hallten, bevor sie verklangen. Neun mal neun Namen legte Bride in ihr Herz, während die Feuer niederbrannten.
Sehr viel später spürte Bryanna eine Hand auf ihrem Arm. Sie öffnete die Augen und sah sich um.
Wo bin ich? Wo ist Bride? Der Himmel färbte sich bereits rosa und überall in der Dämmerung wanderten kleine Flammen den Hügel hinunter, von glücklichen Menschen eilig zu Hütten und Häusern getragen. Wo ist das Feuer?
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