Schottlands Wächter (German Edition)
schlug sie um sich, und versuchte die Hand abzuschütteln, die das Kreuz auf ihre Stirn presste.
„Bryanna! Wach auf, Bryanna!” Es dauerte lange, bis Bryanna Kaylees Stimme in ihrem Albtraum wahrnahm. Noch länger dauerte es, bis ihr klar wurde, dass sie geträumt hatte. Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in den Kissen. Kaylee strich ihr über die Haare.
„Alles wird gut. Es war nur ein Traum.” Das leise Murmeln ihrer Stimme wirkte beruhigend. Nach einer Weile wischte sich Bryanna die Tränen von den Wangen und setzte sich auf. Sie versuchte zu lächeln, was ihr aber gründlich misslang. Kaylee zeigte auf eine Porzellanschale mit einem Handtuch und einem Krug mit Wasser.
„Mairie hat dir Waschzeug hingestellt. Es ist gleich Abend und der Druide will uns etwas Besonderes zeigen.”
„Habe ich einen ganzen Tag verschlafen?” Bryanna war erleichtert, dass Kaylee sie nicht nach ihrem Albtraum fragte.
„Hast du. Also sieh zu, dass du jetzt schnell aus den Federn krabbelst.”
Bryanna wartete bis Kaylee gegangen war, dann kletterte sie aus dem Bett. Sie konnte kaum glauben, dass Kaylee Recht haben könnte, doch ein Blick aus dem Fenster bewies es. Es dämmerte bereits, die Nacht war nicht mehr fern. Ihre Gedanken wanderten zurück zu ihrem Traum und zu Kaylees Verhalten. Es ist verwirrend. Einerseits benimmt sie sich wie eine richtige Freundin, andererseits soll sie mich und wahrscheinlich auch meinen Vater umbringen, um Wächter zu werden, und tut nichts dagegen. Ich verstehe das nicht . Bryanna goss Wasser ins Waschbecken und beugte sich darüber. Das kalte Wasser spülte die Schrecken des Traums und die letzten Reste der Müdigkeit fort. Erfrischt zog sich Bryanna wieder an und ging zum Essen.
Der Druide servierte ihnen Kartoffeln mit Butter, Salz und verschiedenen Gemüsesorten. Hungrig griffen die beiden Mädchen zu.
„Lasst Euch Zeit”, sagte der Druide. „Der Mond geht erst in einer halben Stunde auf.
Als sie genug gegessen hatte, lehnte sich Bryanna zurück und sah Mairie zu. Die junge Frau hatte den aus Haaren gesponnen Faden von der Spule gewickelt und in mehrere lange Stücke geteilt, die sie nun mit geschickten Fingern zu einem dünnen, langen Seil verknüpfte. Als sie Bryannas Blick bemerkte, lächelte sie.
„Es tut mir Leid, dass ich nicht früher damit anfangen konnte. Aber bis ihr zurück seid, bin ich fertig.”
„Es wird Zeit zu gehen.” Der Druide stand auf. Bryanna und Kaylee folgten ihm zurück zu den Steinen von Callanish. In der Mitte der nördlichen Steinallee blieben sie stehen. Der Druide zeigte nach Süden.
„Seht ihr dort die Hügel? Man nennt sie Cailleach na Mòinteach, die alte Frau vom Moor.”
„Sie sehen aus, wie eine Frau, die auf dem Rücken liegt”, sagte Kaylee. Der Druide nickte.
„Die Hügel sind ein Symbol. Die Stehenden Steine von Callanish sind auf diese Hügel ausgerichtet. So ehren wir die Cailleach und hoffen, dass sieht es gerne hat, wenn wir uns auf diese Weise an sie erinnern.” Er zeigte auf die Füße der Figur. „Bald wird an ihren Füßen der Mond aufgehen und über den Körper der Cailleach wandern. Genießt es. In dieser Form ist es nur alle achtzehneinhalb Jahre zu sehen. Am besten wartet ihr hier, bis ich meine Gemeinde geholt habe.”
Er ging die Allee weiter Richtung Norden, wo eine Gruppe Menschen wartete. Da waren Frauen, Männer und Kinder. Als der Druide sie erreichte, hob er die Arme gen Himmel und sprach. Möglicherweise war es ein Gebet, aber auf Grund der Entfernung verstand Bryanna die Worte nicht. Sie wendete sich wieder den Hügeln im Süden zu.
Das Knirschen von vielen Schuhen auf Kies verriet ihr, dass die Menschen näher gekommen waren, doch außer dem knirschenden Kies war kein Laut zu hören. Bryanna hatte noch nie eine so große Gruppe gesehen, die so schweigsam war. Ein kurzer Seitenblick genügte, um ihr zu zeigen, dass alle —sogar die kleinen Kinder— wie gebannt auf die Hügel starrten.
Bryanna suchte den Horizont ab, bis ihre Augen tränten. Sie wollte schon aufgeben, als der erste orange Schimmer über den Hügeln auftauchte. Es wurde stärker, stieg langsam über den Horizont. Plötzlich ergoss sich ein helles, rot-goldenes Licht über die nun sehr dunklen Hügel. Bryanna hielt die Luft an. Eine Harfe begann zu spielen. Ihre zarten Töne schienen dem Mond zu helfen, so als könne er ohne diese Musik nicht über den Hügel emporsteigen. Sehr langsam kroch der Mond höher, schob sich nach und nach
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