Schottlands Wächter (German Edition)
Hoffentlich hat die Cailleach einen guten Rat.” Kaylee sprach nicht weiter, sondern starrte auf ihre Fußspitzen, als wären sie das Interessanteste der Welt.
Bryanna wartete.
Nach einer Weile zuckte Kaylee mit den Schultern und sie sah ihr direkt in die Augen. „Der Druide sagte, ich müsse mich jetzt endgültig entscheiden, und das habe ich. Ich schwöre dir, Bryanna, dass ich niemals Wächter werden will, wenn der Preis dafür das Leben anderer Menschen ist. Und mir ist egal, was Vater davon hält.”
Bryanna strahlte sie an. „Ich habe immer gewusst, dass du dich so entscheiden würdest. Ich habe mich nur gewundert, warum du so lange gezögert hast.”
Kaylee wurde rot. „Ich war furchtbar eifersüchtig. Du bekamst ungefragt all das Wissen, das ich so gerne gehabt hätte. Dabei wusstest du nicht einmal, wozu es gut ist.”
Bryannas Hand wanderte zu der Kette mit dem keltischen Kreuz an ihrem Hals. Hiermit könnte ich ihr all das Wissen geben. Bei dem Gedanken freiwillig all das wegzugeben, was sie auf der Reise gelernt hatte, zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Ich werde noch etwas warten. Zuerst müssen wie einen Weg finden, wie wir meine Eltern ablösen können, ohne sie zu töten. Und es reicht ja, wenn Kaylee das Wissen bekommt, kurz bevor sie Wächterin wird.
In diesem Moment zeigte Kaylee in die Tiefe. „Sind wir nicht zu weit östlich? Da vorne sind die Shiant Inseln.”
Bryanna sah ebenfalls hinunter. „Du hast Recht, wir sind direkt über der Straße der blauen Männer.”
„Sagte die Selkie nicht, wir sollen uns vor ihnen hüten?”
Bryanna zuckte mit den Schultern. „Was wollen sie schon tun. Ich habe noch nie gehört, dass sie fliegen können.”
„Sieh einmal, dort sind welche.”
Bryanna sah genauer hin und entdeckte im Wasser ein paar Männer, die sich bis zur Hüfte aus dem Wasser erhoben hatten und zu ihnen hinauf sahen. Sie war überrascht, wie gut die blauen Männer trotz ihrer blauen Haut, den grauen Gesichtern und den grünen Haaren aussahen. Doch selbst aus dieser Höhe konnte sie ihre Münder erkennen, die von einem Ohr zum anderen reichten und mit spitzen Zähnen besetzt waren.
Die blauen Männer drohten Bryanna und Kaylee mit den Fäusten. Einer von ihnen brüllte so laut, dass Bryanna ihn trotz der Entfernung verstand. „Wir kriegen euch, ihr Feiglinge.”
Die Männer begannen, mit den Fäusten auf das Wasser zu schlagen und ein Lied zu singen. Es klang, wie das Heulen des Windes oder das Rauschen des Meeres in einem Sturm. Der HImmel wurde dunkler.
Kaylee zeigte nach Westen. „Sie rufen einen Sturm. Wir müssen so schnell wie möglich landen.”
„Im Wasser können wir nicht landen, dann kriegen sie uns.”
Bryanna packte Kaylee fester, denn der Wind wurde stärker. Eine Bö packte sie und warf sie aus der Bahn. Urplötzlich war der Himmel mit schwarzen, regenschweren Wolken bedeckt und ein eisiger Wind schüttelte die Mädchen. Blitze zerrissen den Himmel und Donner krachte so laut, dass sich Bryanna ganz taub fühlte.
„Holla! Jetzt wird‘s ungemütlich”, schrie sie gegen den Wind und umklammerte Kaylee mit beiden Armen. Regen prasselte auf sie herab und durchweichte in kürzester Zeit ihre Kleidung. Wieder war Bryanna sehr dankbar für ihren Wärmezauber aus Brides Feuer. Sie ließ etwas Wärme in Kaylee fließen, während sie gegen den Wind kämpfte. Verzweifelt versuchte sie einen südlichen Kurs zu halten, aber der Sturm wurde von Sekunde zu Sekunde stärker und trieb sie immer weiter gen Westen. Heftige Böen warfen die Mädchen hin und her, hinauf und hinunter.
Sie sackten ab und tauchten bis zu den Knien ins Wasser. Einer der blauen Männer packte Kaylees Rucksack und hielt ihn fest. Eine Welle schlug über ihnen zusammen. Geistesgegenwärtig schlüpfte Kaylee aus den Trägern, und Bryanna stieg mit ihr so schnell in die Höhe, dass ihre Ohren durch den Luftdruck schmerzten. Doch dem Sturmwind entkamen sie nicht. Wie ein Spielzeug warf sie der Wind durch die Luft.
Noch einmal kamen sie dem Wasser so nah, dass Bryanna die Fingerspitzen der blauen Männer an ihren Füßen zu spürte. In Panik stieg sie höher, bis die Wellen in der Dunkelheit und dem Regen verschwanden. Sie kämpfte gegen den Sturm und umklammerte dabei Kaylee, um sie nicht zu verlieren. Ihr war klar, dass das ihr Tod wäre. Sie fühlte sich wie in einer wild gewordenen Achterbahn. Da entdeckte sie unter sich etwas, das sich kaum von dem aufgewühlten Meer unterschied.
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