Schottlands Wächter (German Edition)
immer weiter über die Gestalt der Cailleach. Er wanderte so flach über den Himmel, dass es aussah, als berühre er die Hügel. In der Schwärze der Nacht hob sein sanftes Licht stets nur einen Teil ihrer Silhouette hervor. Der Mond besuchte die Erde und tanze mit ihr. Die leisen Harfentöne betonten diesen Eindruck.
Gemeinsam mit den Versammelten zogen Bryanna und Kaylee die Steinallee ein Stück weiter den Hügel hinauf, näher an den Steinkreis heran. Als Bryanna das Wasser des Lochs sah, stockte ihr der Atem.
Durch das sich im Wasser spiegelnde Licht des Mondes und zwei Landzungen, die weit ins Loch reichten, war eine goldene Leiter entstanden. Eine Leiter aus rotgoldenem Mondlicht stieg vom Land hinauf zu den Bergen und zu dem großen, unglaublichen vollen Mond; eine Leiter zwischen den Realitäten; eine Leiter in den Himmel!
Bryanna hatte nur noch Augen für den Nachthimmel. Das leise Harfenspiel, das Atmen der anderen Menschen, sogar die Kühle der Nacht nahm sie nicht mehr war. Ihr Blick folgte dem langsamen Lauf des Mondes und sie wünschte, die Nacht würde nie enden. Als der Mond den Busen der liegenden Gestalt erreicht hatte, verschwand er. Bryanna zuckte zusammen. Wo war er? Noch bevor sie ein paar Schritte vorwärts gehen konnte, legte ihr der Druide die Hand auf den Arm.
„Warte! Er taucht gleich wieder auf.”
Sie gehorchte. Bald tauchte der Mond am Fuße der Säule im Mittelpunkt des Steinkreises wieder auf und streckte arme aus honigfarbenem Licht nach den andächtigen Menschen aus. Es fiel auf eine weibliche Gestalt mit ausgebreiteten Armen die im vergleich zum Mond winzig wirkte. Langsam wuchs sie, und erschütterte dabei jeglichen Sinn für Größenverhältnisse. Als sie zweimal so groß war wie der Mond, verschwand sein Licht und ließ die majestätische Frau allein zurück im dunklen Steinkreis. Die Mondenfrau war auf die Erde herabgestiegen, und die Menschen um Bryanna herum jubelten. Flöten und Trommeln mischten sich mit den Harfenklängen zu einem fröhlichen Lied. Die Frau tanzte zur Musik im Licht des Mondes auf sie zu.
Bryanna hielt den Atem an. Wer war diese Frau? War sie wirklich der Mond? Oder war die Cailleach gekommen, um mit dem Mond zu tanzen? Aber nein, die Tänzerin schien jung zu sein. War es vielleicht Bride? Aber warum sollte sie zu einem Heiligtum der Cailleach kommen?
Immer mehr Menschen begannen, der Mondfrau entgegen zu tanzen. Sie sahen so glücklich aus, dass Bryanna ihre Fragen beiseite schob und sich ihnen anschloss. Ihre Füße bewegten sich wie von allein zur Musik. Erst als der Mond endgültig hinter den Hügeln verschwand endete der Tanz. Die Menschen sprachen gemeinsam mit dem Druiden ein Gebet in einer Sprache, die Bryanna nicht verstand, dann gingen sie. Zurück blieben neben Kaylee und Bryanna nur die Tänzerin und der Druide. Als die Tänzerin lachend auf Bryanna zukam, klärte sich das Rätsel. Es war Mairie.
„Na, was sagt ihr? War das nicht schön?”
Bryanna nickte. „Ich dachte, du wärst der Mond … oder die Cailleach.”
„Seit Wochen streiten sich die jungen Mädchen im Dorf darum, wer die Frau im Mond tanzen darf. Ich bin so glücklich, dass die Ältesten mich ausgewählt haben. Beim letzten Mal war ich noch zu jung.” Sie sah zu den Hügeln hinüber. „Wie schade, dass man diesen tiefen Mondstillstand bald nur noch in Alba ungestört genießen kann.”
„Wieso?”, fragte Bryanna.
Der Druide zeigte auf die Hügel. „Euer Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Auf der Hügelkette werden riesige Windräder gebaut. Sie werden die Cailleach na Mòinteach aussehen lassen, als wäre sie mit Nadeln gespickt.”
Bryanna konnte kaum glauben, dass keine Rücksicht darauf genommen werden sollte. „Sehen die denn nicht, wie wunderschön der Tanz des Mondes mit der Erde ist?”
Der Druide legte beruhigend seine Hand auf ihren Arm. „Es bringt nichts, zu jammern. Bei uns bleibt jedenfalls alles wie es ist. Unsere Gebete, unsere Lieder und Tänze sind seit vielen Generationen unverändert und das wird auch in Zukunft so bleiben.”
„Mir hat die Musik am besten gefallen”, sagte Kaylee.
Mairie schlug die Hand vor den Mund. „Ach du meine Güte, Bran!” Sie rannte zu dem größten Stein in der Mitte des Kreises, griff dahinter und zog einen jungen Mann hervor. Er trug eine Harfe unter dem Arm. Mairie nahm in an der Hand und führte ihn zu den Mädchen.
„Das ist Bran. Er ist Barde”, stellte sie ihn vor. Erst jetzt bemerkte
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