Schreckensbleich
Räucherstäbchen und eine Schale mit Obst. Eine Tür öffnete sich vor ihr, und sie wurde hineingestoßen. Zwei dreckige Schaumgummimatratzen, zerrissene Bettwäsche. Die Tür schloss sich. Kein Licht. Nur ein schmaler roter Streifen von dem Spalt unter der Tür. Sie saß da und wartete.
Die Luft fühlte sich tot und muffig an. Sie drehte und wand ihre Hände und versuchte, die Schnur um ihre Handgelenke zu lockern. Fünf Minuten vergingen, ihre Handgelenke waren wund, doch die Schnur war immer noch da. Sie konnte Knoblauch riechen, das Aroma von irgendetwas, das in einer Pfanne briet. Sie wusste, dass es ganz in der Nähe war, sie war nur einen knappen Meter von der Küche entfernt. Das Zimmer stockfinster, das einzige Zeichen, dass sie nicht allein war, war der Schatten von Schritten, die an der Tür vorbeikamen. Ein Teller fiel irgendwo zu Boden und zerbrach. Ein kurzes Füßescharren, die würgenden Geräusche eines Menschen, der nach Atem ringt.
Sie wartete, hörte sonst nichts.
***
Als er die beiden Männer in dem Polizeiauto umgebracht und den Anwalt getötet hatte, war in Gradys Innerem etwas aufgeflammt, das er nicht bändigen konnte. Im Haus des Anwalts war ihm gewesen, als bräche er auseinander – das Feuer drang durch, und sein Körper zersprang und fiel in einer Million Stücken zu Boden, ein Schwarzes Loch, das sich auftat und im Begriff war, alles zu verschlingen, was ihm in den Weg kam. Er wurde wieder zusammengefügt, stärker, als er zuvor gewesen war. Das Morphium arbeitete in ihm, machte seine Bewegungen fließender, geübter; die Hitze, die er verspürt hatte, härtete lediglich die Sprünge in ihm, wie Narbengewebe, machte ihn stabiler.
Den ersten der beiden Vietnamesen fand er in der Küche, der Geruch von bratendem Knoblauch und das Knistern von heißem Öl trieben in der Luft. Grady mit einem kleinen Ausbeinmesser aus seinem Koffer, und der Mann vor ihm dem Herd zugewandt, mit dem Rücken zu ihm. Grady trat vor und rammte das Messer am Halsansatz tief ins Rückenmark, bewegte die Klinge und trennte die Knochen voneinander, zog das Messer zur Kehle des Mannes herum. Der Mann kippte auf den Boden, der Geruch von anbrennendem Knoblauch, das Öl rauchte, stand kurz davor, Feuer zu fangen.
Er wartete, dicht neben die Küchentür gekauert, raffte seine Sinne zusammen. Dann ging der Rauchmelder los, und er wusste, dass es jetzt nur noch eine Frage der Zeit war. Er duckte sich tief und wartete, kauerte mit dem Messer in der Hand neben der Tür. Der zweite Mann kam herein, und Grady stach mit der Klinge zu, durchtrennte ihm die Achillessehne und sah zu, wie er taumelte, als seine Beine ihn nicht mehr trugen und er um sein Gleichgewicht kämpfte. Dann fiel er rücklings auf den Boden im Flur. Augenblicklich war Grady über ihm, trieb das Messer ins Fleisch des Mannes.
***
Eine Minute verging, und dann noch eine. Der Rauchmelder gellte, Brandgeruch. Nora hörte Schritte. Etwas schlug hart auf dem Boden vor der Tür auf, ließ die Dielen erzittern. Sie hörte eine Männerstimme aufschreien, dann nichts mehr. Sie wagte nicht, sich zu rühren. Jetzt war kein Geräusch mehr zu vernehmen, nur Nora, die in einem stockfinsteren Zimmer saß, in das nur ein schmaler Lichtstreifen unter der Tür hineindrang. Sie wartete. Etwas Dunkles und Flüssiges begann unter der Tür hervorzusickern. Sie wusste schon, was es war; langsam verschwand das Licht, als das Blut sich auf den Dielen ausbreitete.
Teil V
Schnee
S ein Vater hatte nichts als ein höhnisches Grinsen zu bieten gehabt, als Drake nach Hunt gefragt hatte. Was hatte er denn erwartet? Was gab es denn anderes?
Am Schluss war klar, dass Drake nicht auf der Suche nach Hunt gewesen war, sondern nach einer Erinnerung an seinen Vater gesucht hatte, nach einer Menschlichkeit, von der er hoffte, dass sie noch vorhanden war. Sein Vater saß auf der harten Metallbank und sah ihn an. »Warum bist du hergekommen?«, fragte er. »Warum bist du bis hierher rausgekommen, um nach einem Mann zu suchen, den du besser kennst als ich?«
»Ich dachte, ich finde vielleicht eine Veränderung in all dem. Irgendeine Kleinigkeit, die ich verstehen kann.«
»Und, hast du eine gefunden?«, wollte sein Vater wissen.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Drake. »Ich weiß nicht, ob irgendetwas von dieser Geschichte das ist, was es eigentlich sein soll. Es ist einfach das, was es ist: Drogen, Kidnapping, Mord – in nichts von alldem habe ich jemals einen Sinn erkennen
Weitere Kostenlose Bücher