Schreckensbleich
eines Löwen mit einer Art sozialem Gewissen, der sich das Blut vom Fell putzt und sich für den nächsten tödlichen Angriff bereitmacht. »Ich bin gerade mit Ihrem Bericht fertig«, verkündete Driscoll, nachdem Drake ihm gegenüber Platz genommen hatte. »Da steht nichts davon, dass Sie dem Kleinen eins mit dem Gewehrkolben verpasst haben.«
Drake schwieg. Die Karte klopfte weiter auf den Tisch, stetig wie ein Metronom. Driscolls Blick ruhte auf ihm, und ein kleines, mattes Lächeln spielte um seine Lippen.
»Solche Bengel können sich die abwegigsten Geschichten ausdenken«, meinte Drake.
»Ja, das stimmt«, pflichtete der Agent ihm bei und klopfte ein letztes Mal mit der Karte auf den Tisch, dann schob er sie Drake hin. Sie befanden sich im Federal Building in Seattle. Vom Freeway aus hatte Drake die überdachte Brücke gesehen, sieben Stockwerke über dem Boden, auf der Häftlinge von der Zelle zum Gerichtssaal gelangten, ohne einen Fuß auf die Straße zu setzen oder mit der zivilisierten Welt in Kontakt zu kommen. »Möchten Sie noch irgendetwas hinzufügen?«
»Ich hab’s alles so aufgeschrieben, wie es passiert ist.«
Driscoll schaute weg, und als er Drake wieder ansah, meinte er: »Deputy Drake, die Wahrheit ist, dass die Zeitung morgen eine Story über das Ganze bringen wird.«
»Eine Story über was?«
»Gab’s oben beim Silver Lake nicht mal einen Sheriff Drake, der wegen Schmuggel verurteilt worden ist?«
Drake schwieg.
Driscoll beugte sich auf seinem Stuhl vor und sah Drake über den Tisch hinweg an. »Ich kann nicht garantieren, dass sie so etwas aus dem Artikel raushalten.«
»Meinen Vater?«
»Ich weiß nicht, wie sie davon erfahren haben, aber ich habe sie wenigstens dazu gebracht, einen Tag zu warten, bevor sie’s bringen.«
»Danke«, sagte Drake. »Und was heißt das jetzt?«
»Das heißt, dass Sie anfangen sollten, auf Fragen zu antworten.«
»Das war vor zehn Jahren. Was hat die Vergangenheit mit all dem hier zu tun?«
»Manche Leute würden sagen, die Vergangenheit hat sehr viel mit dem zu tun, was heute passiert ist«, erwiderte Driscoll. »Was meinen Sie?«
Drake legte die Hände auf den Tisch und spreizte die Finger. Flaches, kaltes Metall. Er konnte spüren, wie sich in seinem Innern allmählich etwas löste. Scham? Furcht? Er wusste es nicht. Er wollte aufstehen, wollte gehen, doch er konnte nirgendwo hin. Er hatte sich in diese Geschichte hineingeritten, und ganz gleich, wie er es auch betrachtete, er kam nicht wieder heraus.
»Sind Sie der Sohn, der in der ersten Liga gespielt hat?«
»Haben Ihnen das die Typen von der Zeitung erzählt, als sie angerufen haben?«
»So habe ich’s gehört.«
»Musste wieder nach Hause zurück, als mein Vater in den Bau gegangen ist.«
»Auf welcher Position haben Sie gespielt?«
»Point Guard.«
»Sie hätten doch eigentlich ein richtiger Star werden sollen, nicht wahr?«
»Basketball und das mit meinem Vater ist fast zehn Jahre her.«
»Und jetzt sind Sie da draußen Deputy? Ich hätte ja gedacht, Sie wären irgendwo Trainer oder so was.«
»Da verdient man nicht so viel wie beim Staat.«
»Na, reich werden Sie so auch nicht gerade.«
»Nein, aber das hat sich mein Vater wohl auch gedacht.« Drake hielt Driscolls Blick einen Moment stand und sah dann weg.
»Muss schwer sein, der Sohn von dem Kerl zu sein, der das Sheriff Department da oben berühmt gemacht hat.«
»Wie gesagt, das war vor meiner Zeit.«
Driscoll musterte ihn über den Tisch hinweg. Dann richtete er sich auf seinem Stuhl auf und beugte sich vor. »Spielen Sie hier auch auf der richtigen Seite?«
»Ich spiele auf Ihrer Seite, wenn es das ist, was Sie wissen wollen.«
Driscoll entschuldigte sich. »Ich kriege das alles nicht so richtig auf die Reihe«, meinte er. »Ich kenne nicht viele Leute, die da raufgehen würden, in die Berge. Was haben Sie da eigentlich gemacht?«
»Meinen Job.«
»Hört sich an, als hätten Sie auch den von Ihrem Vater gemacht.«
»Früher war’s der von meinem Vater. Jetzt nicht mehr; es ist meiner.«
»Entschuldigung«, sagte Driscoll. Er wedelte ein wenig mit der Hand, als verscheuche er einen merkwürdigen Gedanken. »Ich musste das fragen.«
»Ist schon okay. Ich weiß, wer mein Vater war und wer ich bin. Wir sind nicht gleich.«
»Zum Sheriff werden Sie wohl nicht gewählt werden.«
»Ach nein? Die Menschen können einen überraschen. Da draußen gibt’s ein paar nachsichtige Seelen.«
Der Agent nahm sich einen
Weitere Kostenlose Bücher