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Schreckensbleich

Schreckensbleich

Titel: Schreckensbleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urban Waite
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heraufkommen. Die ganze Zeit über schaukelte das Boot im Kielwasser der Fähre.
    Die beiden Kugeln hatten ihn töten sollen. Perfekte, genau plazierte Kopfschüsse, doch das Unerwartete war eingetreten, ein ganz leichtes Abtreiben des Bootes, als die Heckwellen der Fähre darunter hindurchgezogen waren.
    Eine Pause entstand, eine merkwürdige Stille, Wellen schwappten am Rumpf entlang, das kaum merkliche Schaukeln des Bootes, wenn das Meer es anhob und dann wieder absetzte. Hunt beugte sich über das Schanddeck und spähte in die Finsternis. Nichts rührte sich, und einen Augenblick lang dachte er, es wäre vorbei. Er hatte die kleine Browning dabei. Schon die ganze Zeit, seit er aus den Bergen zurückgekommen war. Jetzt hielt er sie in der Hand und spähte in die Richtung, aus der die Schüsse seiner Meinung nach gekommen waren.
    Mündungsfeuer, in fünf kurzen Stößen, und als er den Kopf unten hatte, krachten die Kugeln bereits in die Seite des Bootes. Tack-tack-tack, wie Flusskiesel, die von einer hohen Brücke aus ins Wasser einschlagen, schnell und leise. Ein paar gingen daneben, pfiffen nur Zentimeter über das Schanddeck hinweg und dann über die Steuerbordseite. Hunt hörte einen Bootsmotor anspringen, irgendetwas mit viel Schubkraft, mit ordentlich Fahrt dahinter. Als er das Cockpit erreichte, brodelten bereits Kugeln vor dem Bug der Bayliner.
    Das Boot lag so regungslos da wie eine Leiche auf einem Tisch; Hunt hatte zu viel Angst, um sich aufzurichten und den Gashebel nach vorn zu drücken. Mit eingezogenem Kopf stopfte er die Browning in die Gesäßtasche seiner Jeans und griff sich ein Baumwollhandtuch aus dem Seitenfach unterhalb des Cockpits. Er konnte das andere Boot kommen hören, das Abfallen und Aufheulen, wenn die Schraube in die Wellen griff.
    Mit seinem Feuerzeug zündete er das Handtuch an, dann lag er da und blies sachte in die Flammen, während ein weiterer Kugelschwall über das Boot hinwegprasselte. Fiberglasstaub rieselte überall herab und biss in Hunts Lunge. Er fühlte, wie die Cockpitscheibe in tausend kleine Stücke zersprang, winzige Scherben überall, massenweise in seinem Haar. Er schüttelte sich, um sie loszuwerden, und blies abermals in die emporstrebenden Flammen des Handtuchs. Als die Fasern Feuer fingen und er sehen konnte, wie die Baumwolle sich bog und die Flammen aufsog, stopfte er das Ende des Handtuchs, das nicht brannte, in den Reservekanister mit Treibstoff. Dann richtete er sich auf und warf den Kanister über die Backbordseite. Er hörte das Platschen, drehte sich jedoch nicht um, um zu sehen, ob das Handtuch noch brannte. Eine Salve fetzte über das Cockpit.
    Eine jäher Schmerz in seiner Wade ließ ihn auf die Knie fallen. Irgendetwas ließ Funken stieben, und Hunt konnte den Plastikgeruch von Elektrizität und Gummi riechen. Er stöhnte, ihm war klar, dass er verletzt war, doch er hatte keine Zeit, sich darum zu scheren. Rasch blickte er über die Backbordseite nach achtern auf den neben ihm treibenden Kanister. Das Handtuch brannte noch, Flammen spielten um die Öffnung.
    Die Angst gab ihm Mut. Er streckte die Hand nach oben, packte den Gashebel und drückte ihn nach vorn; die Maschinen erwachten zum Leben, das Boot hob sich in voller Fahrt aus dem Wasser. Zwei Sekunden später konnte er hinter sich den riesigen Feuerball aus Treibstoff in den Himmel steigen sehen, die dunklen Wolken des Benzinbrandes verdeckten Mond und Sterne. Der Treibstoff breitete sich auf dem Wasser aus, und einen Augenblick lang sah er den Flammen zu, dem wirbelnden, aufsteigenden Rauch.
    ***
    Die Explosion tauchte das nächtliche Wasser in gleißendes Licht, und Grady, der schnell dahinschoss, nahm Fahrt weg und hob schützend die Hand vor die Augen. Leise fluchte er vor sich hin. »Was denn jetzt?«, sagte er und blickte auf das Feuer hinaus, wie es erst rot, dann schwarz in die Nacht aufstieg; sein Spiegelbild wurde von der Strömung mitgerissen. Das Licht hatte ihm die Netzhaut versengt, als hätte er dagesessen, in ein Lagerfeuer gestarrt und dann weggeschaut, nur um festzustellen, dass Nacht ihn umgab, so dunkel und hart wie eine Mauer.
    Grady zog den Gashebel zurück und ließ das Boot langsamer werden, bis es fast zum Stillstand kam. Er hörte das Fauchen der Flammen, die von der Nachtluft zehrten, und das Plätschern des Wassers am Bootsrumpf. Sonst nichts. Eine seiner Kugeln musste die Treibstoffleitung getroffen haben, vielleicht hatte ein Funke das Ganze entzündet? Er

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