Schreckensbleich
glaubte, gesehen zu haben, wie Hunt ein wenig getaumelt war, einen Treffer abbekommen hatte. Grady hob das Zielfernrohr ans Auge und spähte ins Feuer, doch das Licht war überall, und es war zu viel für die Nachtsichtfunktion.
Sachte schob er den Gashebel vor und ließ das Boot einmal im Kreis durch den Rauch gleiten. Der Geruch von Meerwasser und Benzin; er durchzog ihn ganz und gar, strich über das Cockpit und in seine Nase, wo er ihn in seine Kehle hinabsog und ihn am Stück hinunterschluckte. Keine Wrackteile. Überhaupt nichts. Nur ein Feuer, ein Flammensee auf dem Wasser. Wieder fluchte er und hob das Zielfernrohr, überprüfte mit der Nachtsicht das umgebende Wasser. Eine weiße Fährte aus Maschinenschaum, anderthalb Kilometer entfernt.
***
Das Kielwasser lag als weiße Spur hinter Hunt. Je nachdem, wie weit das andere Boot hinter ihm war, würde es nicht schwer sein, ihm zu folgen, das wusste er. Die Treibstoffexplosion hatte ihm lediglich Zeit verschafft. Er gab Gas – der Motor brüllte hinter ihm auf – und blickte voraus, während das Boot verwegen von Backbord nach Steuerbord schlingerte, als es sich in die Dünung vor ihm fräste. Er hörte, wie die junge Vietnamesin in der Kabine einen unterdrückten Schrei ausstieß. In diesem Moment kümmerte ihn das nicht: Sie mussten abhauen, und er tat sein Bestes, das zuwege zu bringen. Die Glasscherben, die am Bug aufs Deck gefallen waren, rollten jetzt im Fahrtwind klappernd nach achtern und rasselten um ihn herum. Mit gebeugten Knien stand er da, nahm die Wellen, wie sie kamen, und versuchte, das Heben und Senken des Wassers vorauszuahnen, über das er dahinraste.
Hinter ihm breitete sich die weiße Spur des Bootes aus, bis sie im Grau und Schwarz der Nacht verlorenging. Achtern heulte der Motor. Der Wind fauchte durch das geborstene Cockpitfenster und peitschte ihm heftig ins Gesicht, so dass ihm die Augen tränten. Irgendwo hatte er die Browning fallen gelassen, und von Zeit zu Zeit fühlte er, wie die Waffe über den Boden rutschte und dabei seinen Fuß traf. Als er sich in den Wind hineinbeugte und sich umdrehte, konnte er hinter sich nichts erkennen, außer dem weißen Kielwasser und der Nacht, die sich so dunkel wie Wein auf dem fernen Wasser erstreckte, ein Horizont aus Feuer, wo der Treibstoffkanister explodiert war. Sogar der verblasste, als umrunde er den Rand der Erde und die Flammen blieben hinter der Wölbung zurück.
Hunt nahm Fahrt weg und ließ das Boot im Leerlauf treiben. Im Unterschenkel verspürte er immer stärkere Schmerzen, und er wusste, dass da irgendetwas nicht stimmte; er fühlte, wie das Blut und die anschwellende Wade die Enge seiner Jeans ausfüllten. Er sah nicht nach unten, wollte nicht hinschauen. Aus Angst, oder vielleicht auch nur aus Notwendigkeit, wandte er den Blick nicht von dem Wasser hinter ihm ab, und er lauschte und wartete auf den, der sie jagte, wer immer es auch war. Er konnte das leise Gurgeln seines Treibriemens hören, und dann, weit in der Ferne, das Aufschlagen eines Bootes, das schnell durch die Wellen pflügte und dabei heftig durchgeschüttelt wurde. Er hörte das Wummern der Luft unter dem Boot, das Klatschen des Wassers, als es näher kam. In der Dunkelheit konnte er nicht sagen, in welche Richtung es unterwegs war, doch er konnte fast einen halben Kilometer weit sehen, wo sein eigenes Kielwasser lag, und er hoffte, dass das Boot nicht in dessen Nähe war.
Auf Hunts Backbordseite flammte ein Suchscheinwerfer auf, und er sah das Wasser in der Nacht und das Grün des Meeres, und wie das Licht darin versank und dann verschwand. An der Höhe des Scheinwerfers erkannte er, dass einer der großen Zwanzig-Meter-Kutter der Küstenwache von der Explosion angelockt worden war. Er wusste, dass sie Radar hatten, dass er bereits ein Blip auf ihrem Schirm war. Er wusste auch, dass er sie abhängen konnte, wenn es nötig sein sollte.
Der Kapitän des Kutters meldete sich per Lautsprecher, der Scheinwerfer suchte das Wasser ab, doch während Hunt zusah, wurde ihm klar, dass sie nicht nach ihm suchten. Noch immer Nacht dort draußen, und die elektronisch verstärkte, fast mechanische Stimme des Kapitäns, die auf dem Wasser spielte. Hunt legte die Hände auf den Metallrahmen der Windschutzscheibe und sah zu, wie der Suchscheinwerfer der Küstenwache die Dunkelheit durchforstete. Er schaltete den Motor ganz aus und lauschte: das tiefe Maschinendröhnen des Kutters, und noch etwas anderes, ein
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