Schreckensbleich
vielleicht auf ihn gewartet haben könnte. Er sah nichts, was fehl am Platz gewesen wäre, bloß ein paar Leute, die von den Anlegern aus angelten. Im Spiegel überprüfte er die Beule an seinem Kopf, versuchte, mit den Fingern sein Haar nach vorn zu streichen, verpasste sich einen Pony und verbarg die Wunde am Haaransatz. Die violette Verfärbung wurde schlimmer und sah auf seiner blassen Haut beinahe schwarz aus.
Als er mit seinem Äußeren angestellt hatte, was möglich war, fuhr er den Wagen auf den unteren Parkplatz und ließ ihn im Leerlauf vor sich hintuckern. Die Bootsrampe, neben der er sich gestern mit Hunt unerhalten hatte, war direkt vor ihm. Er versuchte, sich zu erinnern, welche Teile des Wagens er angefasst hatte, und ging mit dem Ärmel Stück für Stück das ganze Auto durch, wischte seine Fingerabdrücke weg. Als er dies zu seiner Zufriedenheit erledigt hatte, ließ er den Wagen im Leerlauf, packte den Koffer mit dem auseinandergenommenen Gewehr und öffnete die Tür.
Der Regen war vorbeigezogen, und die Parkplätze waren voller Pfützen. Es wehte nur ein ganz leichter Wind, und er konnte den Himmel im Wasser sehen. Grady legte den Koffer aufs Wagendach und sah sich um, dann bückte er sich und löste die Handbremse. Er nahm den Koffer vom Dach und trat zurück.
Ruhig ging er weiter, hielt geradewegs auf sein Auto zu und achtete sorgfältig darauf, nicht zu eilen. Er konnte seinen Wagen am anderen Ende des Parkplatzes stehen sehen, Möwen hockten auf dem Zaun, die Masten der Segelschiffe, die weiß auf dem Wasser schaukelten. Hinter sich hörte er eine Frau aufschreien. Er ging weiter.
Grady wand sich zwischen den Autos hindurch, Stoßstange an Stoßstange. Das Geräusch von etwas, das hart aufs Wasser schlug, Luftrauschen, Blasen. Als er sich umdrehte, war der Wagen des Tankwarts nicht mehr dort, wo er ihn zurückgelassen hatte.
Eine Menschenmenge hatte sich an der Rampe versammelt, und dort im Wasser war das Auto des Tankwarts und trieb aufs Meer hinaus. Er sah nur kurz zu, das Auto schaukelte dort im Wasser, die Luft entwich aus dem Inneren, und der Wagen ging allmählich unter. Wenn Hunt das Boot noch hatte, würde er sich einen anderen Slip suchen müssen. Er wusste, dass Hunt noch dort draußen war.
Alles, woran Grady denken konnte, war Zeit. Zeit, um auf die Ostseite der Berge zu gelangen, das kleine Motel zu finden, von dem der Anwalt ihm erzählt hatte, und darauf zu hoffen, dass sein Tag besser wurde. Er fuhr vom Parkplatz, als das Auto endlich versank.
***
Ihr Mann am Flughafen hatte ihnen gesagt, wo sie hinmussten. Sie parkten den Lexus vier Parkplätze weiter, auf der anderen Straßenseite, und blickten zu dem Haus hinauf. Am Ende des Blocks sahen sie einen Linienbus halten und dann weiterfahren. Auf der Querstraße oberhalb von ihnen herrschte zu jeder Tageszeit lebhafter Auto- und Fußgängerverkehr. Am Spätnachmittag, mit der Sonne direkt vor ihnen am Horizont, färbten die Orange- und Rottöne die Szenerie wie ein Feuer. Die Gestalten, die die Straßen überquerten, waren nicht viel mehr als Kohleschatten. Der Fahrer zündete sich eine Zigarette an, saß da und beobachtete das Haus. Alle paar Atemzüge blies er einen Rauchstrom aus dem Fenster.
Das Haus lag dicht an der Straße, die Stufen der Haustür endeten fast auf dem Gehsteig. Autos standen in nahezu jeder Parklücke entlang der Straße, bei manchen hatte der Wind Müll gegen die Reifen geweht. Es war kein gepflegter Stadtteil, allerdings war es vielleicht früher mal einer gewesen. Das schlichte weiße Haus war aus Holzbrettern gebaut; das Dach war rissig und mit Teerflicken verpflastert, Schindeln im Farbton von Sandpapier. Das mittlere Stockwerk ging auf die Straße hinaus, hoch oben war ein Fenster, wahrscheinlich der Dachboden. Anscheinend war niemand zu Hause.
Mehrere Leute kamen auf der Straße vorbei, aber nicht derjenige, den sie suchten. Nachdem eine Dreiviertelstunde vergangen war, trat ein Mann mit einer Tüte voller Lebensmittel auf der anderen Straßenseite vom Bordstein herunter und ging quer über die Straße auf das Haus zu. Er stieg die Stufen hinauf und zog gleichzeitig einen Schlüsselbund aus der Tasche, den die beiden Männer in dem Lexus ganz deutlich erkennen konnten.
»Ich wünschte, ich hätte meine Pistole«, bemerkte der Fahrer, während er die Tür öffnete und ausstieg. Er achtete darauf, die Tür mit dem Körper zuzudrücken, so dass sich sein Gewicht auf den Wagen verlagerte, die
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