Schrei Aus Der Ferne
sehe. Möchten Sie zuerst in Ihr Hotel gehen, damit das erledigt ist?«
»Ich hätte gerne etwas zu trinken.«
Sie liefen am Hafenparkplatz vorbei und stiegen ein paar Stufen zu einer teilweise gepflasterten Straße hinauf. Helen blieb kurz stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Als sie schließlich zu einem kleinen Pub gelangten, nahm Cordon Helens Tasche in die andere Hand und schob die Tür auf. Im Inneren zeigte er auf einen Seitenraum mit niedriger Decke; er war ganz leer, wenn man von einer orangefarbenen Katze absah, die geräuschlos von einem der Stühle sprang und vorwurfsvoll davonschlich.
»Was möchten Sie trinken?«, fragte er und zog in der gebogenen Türöffnung den Kopf ein. Mehr oder weniger seine ersten Worte seit dem Bahnhof.
»Ich gehe an die Bar.«
»Nein, schon in Ordnung.«
»Also dann einen Gin Tonic.«
»Groß?«
»Ja, bitte.«
Während er an der Bar war, saß sie da und betrachtete die gerahmten Bilder an den Wänden. Schwarzweißfotos, die Fischerboote bei der Rückkehr in den Hafen zeigten. Ein Rettungsboot, das in einem Mahlstrom aus Regen und Gischt zu Wasser gelassen wurde.
Cordon kehrte mit ihren Getränken zurück. Für sich selbst hatte er ein Pint Bitter gebracht, das er kostete, bevor er sich hinsetzte.
»Ihr Hotel ist nicht weit von hier. Nichts Besonderes, aber es ist ruhig und sauber. Sie können umziehen, wenn es Ihnen nicht gefällt.«
»Bestimmt ist es in Ordnung. Wohnen Sie hier?«, fragte sie.
»Im Pub?«
»In der Stadt.«
»Nein, in Newlyn. Ein Stück weiter die Bucht entlang. Penzance ist mir zu krass.«
Sie glaubte, dass er scherzte, war sich aber nicht sicher.
»Das Mädchen, das verschwunden ist …?«, sagte Cordon.
»Immer noch keine Spur.«
»Sie ist nicht weglaufen, das glauben Sie nicht?«
»Scheint nicht sehr plausibel.«
»Also entführt.«
»Höchstwahrscheinlich.«
»Wie lange ist es jetzt her?«
Automatisch sah Helen auf ihre Uhr. »Um sechs werden es zweiundsiebzig Stunden.«
»Drei Tage.«
»Ja.«
»Hinweise?«
»Nichts Eindeutiges, nichts Greifbares. Heute Morgenwurde jemand verhört, ein Freund der Familie – im Zug habe ich mit meinem DI gesprochen, sie überprüfen sein Alibi. Könnte eventuell zu etwas führen, aber …« Sie zuckte die Achseln.
Cordon hob sein Pint an den Mund.
Die Katze glitt in den Raum zurück, sprang auf einen der freien Stühle, drehte sich zweimal um und ließ sich mit gesenktem Kopf und einer Pfote über den Augen nieder.
»Sie haben sich gefragt, ob es vielleicht einen Zusammenhang mit der Geschichte gibt, die hier passiert ist.«
»Am Anfang nicht. Erst als Sie sich bei uns gemeldet haben. Zunächst hatten wir die Information erhalten, es handele sich um einen Tod durch Unfall. Dann haben Sie mit Will gesprochen …«
»Das ist Ihr DI?«
»Will Grayson, ja. Was immer Sie gesagt haben, er meinte, eine Überprüfung würde sich lohnen.«
»Zwei Mädchen, gleiches Alter, dieselbe Mutter – das ist ein ziemlicher Zufall.«
»Und offenbar glauben Sie nicht an die Sache mit dem Unfall.«
»Weder damals noch heute. Aber ich habe auch keine plausible andere Version der Ereignisse. Ich habe nur dieses Gefühl. Es sitzt hier …«, er legte seine Hand auf die Magengegend, »… wie eine verdammte Verdauungsstörung. Und geht nicht weg.«
»Auch nicht nach so langer Zeit?«
Cordon schüttelte den Kopf.
»Haben Sie sich noch einmal mit dem Fall befasst? Sie oder jemand anders?«
Cordon lächelte.
»Ich habe es vorgebracht, klar. Immerhin hatte der Richter auf unbekannte Todesursache erkannt. Dann sind zwei Typenaus Exeter gekommen und haben sich höchstens einen halben Tag mit dem Fall beschäftigt. Sie sind die Beweismittel durchgegangen, haben die Protokolle der Vernehmungen gelesen et cetera pp. Dann haben sie bei ein paar Pints mit Jimmy Lambert geredet – er war damals mein Chef –, das war, bevor er sich nach Portugal abgesetzt hat. Sie haben auch mit mir gesprochen, aber mehr war nicht. Sie hielten es nicht für notwendig, in eine erneute Ermittlung zu investieren. Das hat mir schwer im Magen gelegen, kann ich Ihnen sagen. Ich habe einen Freund von mir dazu gebracht, einen Artikel im ›Cornishman‹ zu bringen.« Er lachte. »Ich hätte genausogut meinen Namen daruntersetzen können. Dafür bin ich nämlich zusammengestaucht worden, und zwar nicht zu knapp.«
»Aber hat sie etwas bewirkt? Die Veröffentlichung?«
»Schön wär’s! Es herrschte
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