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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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das Ziel der beiden gewesen war. Ruth hatte die Tränen nicht zurückhalten können.
    Jetzt rannte Simon hin und her, machte Tee, den er nicht trank, stieß mit dem Fuß gegen die Bettpfosten, schlug mit der flachen Hand an die Wand, ging hinaus, um eine Flasche Scotch zu besorgen, kam damit zurück, öffnete sie hektisch, goss eine großzügige Menge ins Glas, trank und schluckte zu schnell und spuckte den Rest ins Waschbecken.
    Die Anschuldigungen ließen nicht auf sich warten.
    »Wie oft habe ich dir gesagt, dass das passieren würde? So etwas? Hm? Wie oft? Eine verdammte Katastrophe. Hat nur darauf gewartet, sich zu ereignen. Ich wusste es. Ich wusste es einfach.«
    »Simon, Simon. Du redest sinnloses Zeug.«
    »Ach wirklich?«
    »Wir wussten es nicht, wir konnten es nicht wissen.«
    »Nein?«
    Ruth zitterte. »Doch nicht so etwas. Überhaupt warst du derjenige, der die Idee begeistert aufgegriffen hat. Großartig, hast du gesagt. Zur Abwechslung mal ohne Heather. Wir ziehen los und amüsieren uns. Du konntest es kaum erwarten.«
    »Das stimmt nicht.«
    »Ach nein?«
    »Ich habe die Idee begeistert aufgegriffen, wie du dich ausdrückst, weil du dir Woche um Woche den Kopf zermartert hast   – vielleicht sollen wir sie fahren lassen, was kann ihr schon passieren? Jetzt wissen wir es, verdammt noch mal!«
    »Simon   …«
    »Das sind nette Leute, hast du gesagt. Nett! Ist doch egal, dass sie kein einziges Buch im Haus haben und dass ihre Idee von geistiger Betätigung darin besteht, ›EastEnders‹ zu sehen und die verdammte ›Sun‹ zu lesen.«
    »Gott, du müsstest dich mal reden hören. Glaubst du wirklich, es wäre anders, wenn sie sich im Urlaub durch die Shortlist für den Booker-Preis gearbeitet oder den ›Telegraph‹ von der ersten bis zur letzten Seite gelesen hätten? Glaubst du, das hätte sie vorsichtiger und aufmerksamer gemacht?«
    »Vielleicht.«
    Ruth lachte und schüttelte den Kopf. Als ihr Handy läutete, stolperte sie fast über den Teppich.
    »Ja«, sagte sie. Dann noch einmal »Ja« und »Gut, in Ordnung, denke ich« und »Oh, gut. Gut. Ich bin sehr froh«. Nachdem sie noch ein paar Augenblicke zugehört hatte, sagte sie: »Danke. Vielen Dank. Ich wünsche ihr alles Gute« und legte das Telefon ab.
    »Das war Pauline, die wissen wollte, wie es uns geht.Kelly geht es anscheinend besser, sie kann sich aufsetzen und reden   …«
    »Hat sie was über Heather gesagt? Hat sie gesagt, was passiert ist?«
    »Sie weiß es nicht. Sie haben sich im Nebel verloren, mehr kann sie nicht sagen. Die Polizei hat mit ihr gesprochen und wird das auch noch einmal tun.«
    Simon drehte sich zum Fenster und sah hinaus. Ein Paar saß in einem parkenden Auto und aß bei geöffneten Türen Fish and Chips. Gegenüber standen drei Männer in Hemdsärmeln und eine junge Frau in einem knappen Top und Shorts mit Biergläsern in der Hand draußen vor dem Pub, genossen die Sonne und lachten. Jugendliche auf Skateboards übten ihre Künste und sausten um das Kriegerdenkmal herum.
    »Ich geh nach draußen«, sagte er.
    »Wohin?«
    Simon zuckte die Achseln und griff nach seiner Jacke.
    »Möchtest du, dass ich mitkomme?«
    »Möchtest du denn?«
    Sie zögerte. »Einer von uns sollte hierbleiben.«
    »Sie sagen uns Bescheid, wenn irgendetwas ist.«
    »Ich bleibe trotzdem hier.«
    »Wie du willst.«
    Als er gegangen war, ließ sich Ruth aufs Bett zurückfallen und schloss die Augen. Nur wenige Minuten später   – oder so schien es   – ist Heather da, läuft auf sie zu, weint, streckt die Hand aus. Sie sind in dem kleinen Gemeinschaftsgarten in Muswell Hill. Sie spielen. Nur dass es kein Spiel ist, nicht für Heather, kein richtiges Spiel. Sie ist Gärtnerin und hilft ihrer Mutter, die Geranien umzupflanzen. Vorsichtig hält sie die kleine Schaufel mit beiden Händen. Aber dann rutscht sie ihr aus der Hand und der Topf kippt um, fällt auf den Weg und zerbricht am Rand, Blut fließt und natürlich gibt es Tränen.Mummy, küss es weg. Ein Pflaster, natürlich kannst du ein Pflaster haben, aber wir halten es erst unter den Wasserhahn. Schönes kaltes Wasser. Sieh mal. Jetzt tupfen wir es trocken. Nein, das tut nicht weh. Ich bin vorsichtig. Mummy tut dir nicht weh. Das Pflaster geht zweimal um den Finger, der aussieht wie ein Stöckchen. Für heute hören wir mit der Gartenarbeit auf. Heather legt ihren Kopf an sie, als sie sich in der Wohnung aufs Sofa setzen, und ihr knochiger Ellenbogen bohrt sich in Ruths

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