Schrei der Nachtigall
Information, die Exhumierung findet heute nacht um dreiundzwanzig Uhr statt. Ich würde es begrüßen, wenn Sie auch anwesend wären. Ich brauche nur noch die Adresse des Friedhofs, wo dieser Wrotzeck begraben liegt.«
»Kleinen Moment bitte.« Brandt wandte sich an Thomas: »Wo liegt Ihr Vater begraben?«
»Gleich hier vorn, hinter der Kirche. Ist eine alte Familiengruft, aber er wird mit Sicherheit der letzte aus seinem Clan sein, der dort beerdigt wurde.«
Brandt hatte die letzten Worte nur noch am Rande wahrgenommen und sagte zu Elvira Klein: »Ortsteil Butterstadt, hinter der Kirche. Ist gar nicht zu verfehlen.«
»Gut, dann bis heute abend.«
»Bis heute abend. Und vielen Dank.«
»Keine Ursache. Ich hoffe nur, dass diese Aktion nicht umsonst ist.«
Sie legte auf, ohne eine Entgegnung von Brandt abzuwarten. Er steckte das Handy wieder in seine Hemdtasche und sagte: »Das war unsere Staatsanwältin. Ihr Vater wird heute nacht exhumiert und anschließend in die Rechtsmedizin gebracht. Dort wird man sicher die genaue Todesursache ermitteln können.«
»Na, dann mal viel Spaß. Was für ein Glück für Sie, dass er nicht eingeäschert wurde«, meinte Thomas grinsend.
Ohne darauf einzugehen, sagte Brandt: »Meine Kollegin und ich waren vorhin noch bei Herrn Köhler. Er hält große Stücke auf Sie, Ihre Mutter und Ihre Schwester.«
Thomas wurde gleich wieder ernst, nickte und meinte: »Köhler ist schwer in Ordnung. Und wenn man bedenkt,was der alles durchgemacht hat … Erst seine Frau, dann Johannes …«
»Wie hat sich der Unfall abgespielt?«, fragte er, obwohl er bereits die Version von Köhler kannte.
Thomas hob die Schultern, atmete ein paarmal tief ein und blies die Luft kräftig wieder aus. Für einen Augenblick sah er zum Fenster, dann zu Brandt. »Das weiß keiner, weil es keiner gesehen hat. Das Auto ist von der Straße abgekommen und hat sich mehrfach überschlagen. Erst hat man vermutet, dass Johannes vielleicht unter Drogenoder Alkoholeinfluss stand, aber ich hab der Polizei gleich gesagt, dass ich das für unmöglich halte, denn Johannes hat keinen Alkohol angerührt, weil Allegra dann bestimmt nicht bei ihm geblieben wäre. Ihr hat es schon gereicht, unsern Vater ständig besoffen erleben zu müssen. Und die Alkoholanalyse hat das auch bestätigt, 0,0 Promille. Und dann gab es noch die Wildtheorie oder dass irgendwas am Auto kaputt war, aber da wurde nichts gefunden. Bleibt nur noch das mit dem Wild. Und so ist es bis heute ein ungeklärter Unfall.«
»Wo genau hat sich der Unfall ereignet? Ich weiß von Herrn Köhler nur, dass es zwischen hier und Hammersbach war.«
Thomas stand auf, holte eine Karte und setzte sich neben Brandt. »Nicht weit von hier, so auf halber Strecke zwischen Braunsberg und Tannenkopf. Schauen Sie, hier wohnen wir, und da«, er deutete mit dem Finger drauf, »ist der Unfall passiert. Da ist übrigens auch Köhlers Frau tödlich verunglückt.«
»Hm. Ist das eine stark frequentierte Straße?«
»Überhaupt nicht. Auf der Straße können Sie nachts schlafen, ohne dass was passiert. Na ja, nicht ganz, aber da sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Und gleich zweimal hat es jemanden aus der Familie Köhler an fast der gleichen Stelle erwischt. Na ja, und Allegra natürlich auch. Aber auf den Köhlers muss ein ganz böser Fluch liegen. Vielleicht hat mein Vater ja einen Voodoo-Zauberer engagiert, zuzutrauen wäre es ihm, obwohl, ich glaub, der wusste nicht mal, was Voodoo ist.« Thomas winkte ab. »Was soll’s, ganz begreifen werde ich das alles wohl nie, denn Johannes war ein sehr vorsichtiger Fahrer. Ich bin ein paarmal mit ihm gefahren. Der hat bestimmt nicht zu den jungen Leuten gehört, die meinen, andern beweisen zu müssen, dass sie so gut wie Schumi sind. Er ist jedenfalls viel vorsichtiger gefahren als ich, und ich bin auch kein Raser. Der Unfall ist uns allen ein großes Rätsel. Ich kann ihn mir nur so erklären, dass ein Reh oder ein Hirsch plötzlich die Straße überquert hat und … Na ja, Spekulationen.«
»Wurde das Auto auf technische Defekte hin untersucht?«
»Natürlich, aber man hat nichts gefunden. Die Bremsen, die Lenkung, die Radaufhängung und so weiter, alles war intakt. Wenn Allegra sprechen könnte, würde sie uns mit Sicherheit sagen können, was da vorgefallen ist.«
»Wann haben Sie Ihre Schwester das letzte Mal gesehen?«
»Am Sonntag. Wissen Sie, da sitzt man neben jemandem, den man so gut kennt, die Augen sind offen …
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