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Schrei der Nachtigall

Schrei der Nachtigall

Titel: Schrei der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Ziele. Sie wollte Sängerin werden, und sie wollte mit JohannesKöhler eine Familie gründen. Jetzt kann nur noch einer dieser Wünsche in Erfüllung gehen, aber vielleicht auch nicht.«
    Er stockte, zündete sich eine weitere Zigarette an, ein Kettenraucher, wie er im Buche stand, sog den Rauch tief ein und ließ ihn langsam wieder entweichen. Er schüttelte kaum merklich den Kopf, und wandte sich ab. Für einen Moment schien er mit seinen Gedanken weit weg zu sein, bis er sich wieder zu Brandt drehte und mit beinahe verklärtem Blick fortfuhr.
    »Allein wie sie miteinander umgegangen sind, so jung und doch so erwachsen. Erwachsener als viele Erwachsene. Ich kann mich erinnern, wie ich Allegra und auch Johannes getauft habe. Es war, als wäre es gestern gewesen. Das mag für Sie jetzt vielleicht seltsam klingen, aber bei Allegras Taufe hat ein Geist in der Kirche geherrscht, wie ich ihn so zuvor noch nicht erlebt hatte. Nur einmal war es ähnlich, und das war bei der Taufe von Johannes. Es war jedenfalls sehr ergreifend. Nun ja, das interessiert Sie wahrscheinlich gar nicht, trotzdem wollte ich es Ihnen mitteilen.« Lehnert stand auf, schlurfte mit müden Schritten zum Fenster und sah hinaus auf den verwilderten Garten. »Wenn Sie mich fragen, Allegra und Johannes waren füreinander bestimmt. Und jetzt ist Johannes tot, und Allegra liegt im Krankenhaus. Glauben Sie mir, ich bete jeden Tag für sie und bitte Gott darum, dass sie wieder aufwacht. Ich habe jedenfalls selten so viele entsetzte Gesichter gesehen wie damals, als die Meldung von dem Unfall die Runde machte. Aber Gottes Wege sind nun mal unergründlich, und man fragt sich, warum ausgerechnet die beiden. Sogarich habe mir diese Frage gestellt, obwohl ich wirklich schon viel gesehen und erlebt habe.«
    »Wie hat Herr Wrotzeck den Unfall seiner Tochter aufgenommen?«
    Lehnert drehte sich um, lehnte sich gegen die Fensterbank und blickte zu Boden. Er kaute auf der Unterlippe. Brandt meinte einen melancholischen Ausdruck in seinen Augen zu erkennen, auch wenn er diese kaum sah, aber die ganze Haltung des Pfarrers sprach Bände. Er ließ eine ganze Weile verstreichen, bis Brandt die Frage wiederholte, Lehnert erschrocken aufschaute und leise und bedächtig antwortete, als hätte er Angst, etwas Falsches zu sagen: »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie er es unmittelbar danach aufgenommen oder wie er reagiert hat. Ich nehme an, er war genauso entsetzt und erschüttert wie all die andern. Schließlich hat er eine Tochter verloren.«
    Als Lehnert nicht weitersprach, sagte Brandt: »Eine Tochter, die er aber nicht gerade wie ein liebender und fürsorglicher Vater behandelt hat, wie mir berichtet wurde. Er hat sie geschlagen, hat sie eingesperrt, damit sie nicht mit Johannes zusammen sein konnte …«
    »Sind Sie Vater?«
    »Ja, ich habe zwei Töchter«, antwortete Brandt ruhig, denn er spürte, dass Lehnert im Augenblick einen inneren Kampf ausfocht, bei dem er ihm aber nicht helfen konnte, »und mir würde nie in den Sinn kommen, sie einzusperren und ihrer Freiheit zu berauben. Aber wenn ich all das nehme, was ich bisher über Wrotzeck erfahren habe, dann war dieser Mann das wandelnde Unheil. Oder sehen Sie das anders?«
    »Es gibt Menschen, die offenbar auf die Erde geschickt werden, um eine Prüfung für andere zu sein. Herr Wrotzeck zählte dazu, doch ich werde ihn deswegen nicht verurteilen. Das steht mir auch gar nicht zu, dafür gibt es eine andere Instanz.«
    »Herr Lehnert, hier ist meine Karte«, sagte Brandt in versöhnlicherem Ton, legte sie auf den Tisch und stand auf. »Ich würde mir wünschen, dass Sie es vielleicht schaffen, über Ihren eigenen Schatten zu springen, um mir zu helfen. Wrotzeck ist tot, und auch wenn das Beichtgeheimnis über den Tod hinaus Gültigkeit hat, so gibt es doch bestimmt Wege, mir wenigstens einige Informationen zukommen zu lassen …«
    »Haben Sie nicht richtig zugehört?«, fragte Lehnert und sah Brandt zum ersten Mal direkt in die Augen.
    »Doch, das habe ich. Ist mir etwas entgangen?«
    »Denken Sie darüber nach. Eigentlich habe ich schon viel zu viel gesagt.«
    »Das haben Sie nicht. Aber vielleicht haben Sie ja einen Tipp, an wen ich mich noch wenden könnte?«
    Lehnert zögerte, bevor er antwortete: »Sprechen Sie mit Herrn Caffarelli. Er ist Uhrmacher und kennt Allegra ebenfalls sehr gut. Sie ist in seinem Chor oder war es zumindest bis zu jenem furchtbaren Abend. Möglicherweise kann er Ihnen weiterhelfen. Er

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