Schrei der Nachtigall
Doktor«,sagte Thomas zynisch. »Es war einer der erhebendsten Momente in meinem Leben. So, und jetzt reden wir Tacheles. Und ich lass Sie hier nicht raus, bevor Sie mir nicht ein paar Fragen beantwortet haben. Verstanden?!«
Müller schluckte schwer. Er merkte, dass er keine Chance hatte. Thomas war fast einen halben Kopf größer und vor allem jünger und kräftiger.
»Was wollen Sie?«, stieß er hervor.
»Nur mit Ihnen reden. Zum Beispiel über die krummen Geschäfte, die Sie und mein Alter getätigt haben. Reiner Bullensamen … Na, klingelt’s jetzt? Oder soll ich noch deutlicher werden?«
»Ich weiß noch immer nicht, wovon …«
Thomas packte Müller blitzschnell am Hemd und drückte ihn an die Wand. Müllers Gesicht lief rot an, als Thomas sagte: »Ihr habt sogenannten reinen Bullensamen verhökert, aber etwa die Hälfte davon stammte gar nicht von Sancho und Pancho. Und jetzt raus mit der Sprache, ich bin nämlich mächtig geladen und weiß nicht, was passiert, wenn Sie nicht endlich das Maul aufmachen. Also?«
»Ja, es stimmt, wir haben da einmal was gedreht, aber es war die Idee Ihres Vaters. Ich konnte mich gar nicht dagegen wehren«, quetschte Müller mit vor Angst geweiteten Augen hervor.
»Ach ja, es war also die Idee meines Alten? Ist verdammt leicht, so ’ne Idee einem Toten unterzuschieben, aber ihr beide seid ja vom gleichen Schlag. Und es war nur einmal?« Thomas lachte höhnisch auf, drückte ihn noch ein wenig fester an die Wand und fuhr fort: »Merkwürdig, da muss ich wohl ausgerechnet dieses eine Mal rein zufälliggelauscht haben. Aber das Gespräch hat sich gar nicht so angehört, als wäre es das erste Mal. Ihr habt nämlich von den Idioten gesprochen, die das sowieso nie merken würden, weil es bisher ja auch keiner gemerkt hat. Wie oft habt ihr’s gemacht, und lügen Sie mich bloß nicht wieder an, sonst werde ich sehr ungemütlich.«
»Keine Ahnung, ich weiß es nicht«, stieß Müller nach Luft ringend hervor.
»Keine Ahnung?«, zischte Thomas und ließ Müller los, stand jedoch weiterhin so dicht vor ihm, dass dieser seinen Atem im Gesicht spürte. »Schätzen Sie doch einfach mal. Oder sagen Sie mir nur, wie viel dabei für Sie rausgesprungen ist. Fünfzigtausend, hunderttausend? Oder war’s sogar mehr?«
Keine Antwort, Müller schnaufte nur schwer.
»Da hab ich wohl ins Schwarze getroffen. Was für Deals liefen denn noch so zwischen dem Alten und Ihnen?«
»Keine sonst«, antwortete Müller leise.
»Und das soll ich glauben? Tu ich aber nicht, dazu sind Sie viel zu geldgeil. Ich weiß nämlich noch so einiges mehr über Sie. Zum Beispiel, dass Sie wahnsinnig gerne in bestimmten Clubs und Bars verkehren, und zwar genau jenen Clubs und Bars, die mein Alter immer besucht hat. Und Huren und Schampus kosten ’ne Menge Geld. Ich bin gut, was?«, sagte Thomas grinsend. »Wissen Sie, eigentlich ist es mir scheißegal, was der alte Drecksack getrieben hat, und genauso egal ist es mir, was Sie treiben. Wäre nur schade, wenn Ihre Frau davon erfahren würde, oder? Und dann noch Ihre Kinder.«
»Sagen Sie, was Sie wollen, wir können uns bestimmteinigen«, entgegnete Müller mit zittriger Stimme, auch wenn er sich den Anschein gab, sich wieder beruhigt zu haben. »Aber bitte lassen Sie meine Familie aus dem Spiel.«
»Gar nichts, ich will gar nichts. Da staunen Sie, was? Sie können gehen, mir reicht schon, was ich gehört habe. Meine Mutter weiß übrigens nichts davon, ich habe sie bewusst da rausgehalten. Und jetzt verschwinden Sie.« Müller nahm seinen Koffer, doch Thomas’ Stimme hielt ihn zurück. »Stopp, ich habe da noch eine Frage. Wo waren Sie am Abend des 23. Juli?«
»In einem Club in Hanau. Ich habe dort auf Ihren Vater gewartet«, antwortete Müller, ohne sich umzudrehen. »Ich war dort von neun bis eins, das kann ich nachweisen. Kann ich jetzt endlich gehen?«
»Gleich. Gab es Streit zwischen Ihnen?«
»Nein, wir waren schließlich Geschäftspartner.«
»Stimmt, hätt ich fast vergessen. Ich würde an Ihrer Stelle aber trotzdem aufpassen, ich meine, diese Welt steckt voller Gefahren. Da passieren Autounfälle mitten in der Nacht, und keiner hat was gesehen …«
»Wollen Sie mir drohen?«
»Ach was, ist mir eben nur so rausgerutscht.«
»Auf Wiedersehen, Herr Wrotzeck«, sagte Müller und verließ mit schnellen Schritten den Stall. Thomas folgte ihm und sah ihm nach, wie er sich zu seinem Toyata Geländewagen begab. Brandt bog auf den Hof ein. Thomas
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