Schrei der Nachtigall
vornehmen, und es hat sich rausgestellt, dass der Gute unfreiwillig das Zeitliche gesegnet hat. Der Fall ist aber dermaßen kompliziert, dass ich mich im Kreis drehe …«
Brandts Vater unterbrach den Redefluss seines Sohnes mit einer Handbewegung. »Verrätst du mir auch, wo du gerade ermittelst?«
»Bruchköbel.«
»Oh, die Leute dort kenn ich. Ziemlich schwer, an die ranzukommen, auch wenn die Stadt sich weltoffen gibt. Trotzdem, das ist noch immer flaches Land.«
»So seh ich das auch. Aber ich hab heute abend einen Termin mit einem Uhrmacher oder besser gesagt einem Uhrenrestaurator. Du hast doch so eine alte Taschenuhr, die du schon immer mal repariert haben wolltest. Wie sieht’s aus, kann ich die mitnehmen und ihn fragen, ob er sie sich wenigstens anschaut?«
»Das ist ein altes Erbstück, stammt noch von meinem Urgroßvater. Ich glaub aber nicht, dass da noch was zu machen ist.«
»Probieren können wir’s doch. Wär doch was, wenn die wieder ticken würde.«
Brandts Vater zog die unterste Schublade seines Schreibtischs heraus, entnahm ihr ein Etui und reichte es seinem Sohn.
»Hier, versuch dein Glück. Aber ich will sie wiederhaben. Du bekommst sie erst, wenn ich unter der Erde liege, was hoffentlich noch eine Weile dauern wird. Und was hast du noch auf dem Herzen?«
Brandt musste lächeln. Sein Vater hatte ihn durchschaut, vor ihm etwas zu verbergen war beinahe unmöglich.
»Hast du während deiner Berufszeit schon mal einem Pfarrer etwas entlockt, was er eigentlich gar nicht hätte sagen dürfen?«
»Meinst du das Beichtgeheimnis?« Brandts Vater steckte die Hände in die Hosentaschen und grinste. »Ja, einmal.«
»Wie hast du das geschafft?«
»Ganz einfach, ich hab ihn besoffen gemacht, ich musste ihn sogar fast nach Hause tragen. Ich hatte meine Informationen und der Ärmste, wenn er sich denn überhaupt noch an den Abend erinnern konnte, wahrscheinlich ein sauschlechtes Gewissen. Aber so hackedicht, wie der war, glaub ich kaum, dass er sich an irgendwas erinnert hat. War noch ein ziemlich junger Kerl, und ganz ehrlich, ich hab mich hinterher geschämt. Ich hab eine Regel gebrochen und hatte danach wochenlang ein ganz blödes Gefühl.«
»Das wird bei dem in Bruchköbel nicht funktionieren. Der qualmt zwar wie ein Schlot, aber so, wie ich ihn einschätze, macht der die großen Besäufnisse nicht mit, auch wenn er vielleicht hin und wieder zu tief ins Glas schaut. Doch der Typ ist ein alter Hase im Kirchengeschäft.«
Brandts Vater stopfte sich eine Pfeife und sagte ruhig: »Lass es sein. Das Schlimmste, was du machen kannst, ist, ihn zu drängen. Er wird sich zurückziehen und überhaupt nicht mehr mit dir reden, weil er Angst hat.«
»Angst wovor?«
»Etwas auszuplaudern, was er nicht ausplaudern darf. Bei Priestern kommst du nur mit einer Methode ans Ziel – mit Diplomatie.«
Brandt lachte auf. »Also wenn hier einer diplomatisch ist, dann ich. Trotzdem komm ich nicht voran.«
»Seit wann arbeitest du an dem Fall?«
»Seit gestern.«
Brandts Vater schüttelte verständnislos den Kopf und sagte: »Es gibt viele schlechte Helfer, Ungeduld ist einerdavon. Mein Gott, manche Fälle dauern Wochen oder Monate, manche sogar Jahre, bevor sie aufgeklärt werden, das müsstest du doch am besten wissen. Was hetzt dich?«
»Nichts«, war die kleinlaute Antwort. »Aber du kennst mich …«
»Deswegen sag ich das ja. Lass es langsam angehen, damit kommst du garantiert ans Ziel. Ist nur ein guter Rat von mir, auch wenn ich ungern Ratschläge erteile. Was hast du heute noch vor, ich meine, außer deinem Termin heute abend?«
»Ich muss mich noch mal kurz im Präsidium zeigen und dann nach Hause. Dieser Pfarrer hat mir einige Dinge durch die Blume zu verstehen gegeben, aber ich krieg die noch nicht auf die Reihe. Wenn ich das Gespräch nur irgendwie hätte mitschneiden können. Ich muss sowieso noch mal mit ihm reden, dann nehm ich mir entweder was zu Schreiben oder ein Diktiergerät mit.«
Er blieb noch eine halbe Stunde, bevor er sich von seinen Eltern und von Sarah und Michelle verabschiedete, die gleich zu ihren Freundinnen gehen, die Nacht jedoch bei den Großeltern verbringen würden. Er hatte keine Lust, ins Büro zu fahren, doch es ließ sich nicht vermeiden.
Donnerstag, 14.30 Uhr
Bis auf Bernhard Spitzer und einen weiteren Beamten war die Abteilung K 11 verwaist. Vier Kollegen, darunter Nicole Eberl, observierten die Albaner, zwei befanden sich noch in Urlaub, fünf hatten mit
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