Schrei der Nachtigall
…«
Thomas ließ Brandt nicht aussprechen. »Sie wollen wissen,was Caffarelli hier will. Er erzählt uns von den angeblichen Fortschritten, die Allegra macht. Ich weiß auch nicht, welche Fortschritte er bei ihr sieht, für mich ist alles noch so wie vor vier Monaten.«
»Mögen Sie ihn?«
»Es gibt wohl kaum jemanden, der ihn nicht mag. Aber warum machen Sie sich nicht selbst ein Bild von ihm? Er beißt garantiert nicht, der würde nicht mal seine Stimme erheben, wenn er wütend ist, was ich mir bei ihm nicht vorstellen kann, ich meine, dass er wütend wird.«
»Ich hatte bereits das Vergnügen, wenn auch nur kurz. Eine Frage noch, dann muss ich gehen. Hatte Ihr Vater eine Lebensversicherung abgeschlossen?«
Thomas lachte wieder auf und schüttelte den Kopf. »Das ist wie bei Columbo – eine Frage noch. Und ich weiß genau, was Sie denken, aber ich muss Sie leider enttäuschen, Wrotzeck hat keine Lebensversicherung abgeschlossen, und er hat auch kein Testament verfasst, weil er mit Sicherheit nicht damit gerechnet hat, schon so früh den Löffel abgeben zu müssen.«
»Wenn es kein Testament gibt, dann sind Ihre Mutter, Sie und Ihre Schwester Alleinerben des Hofs?«
»So sieht’s wohl aus. Aber ich will Sie nicht länger aufhalten, Sie …«
»Wenn Sie sich entschließen sollten, ihn zu verkaufen, was bringt der in etwa?«
»Warum interessiert Sie das?«
»Ich bin von Beruf neugierig«, sagte Brandt ernst.
Thomas schien zu überlegen, doch Brandt war überzeugt,dass er es längst durchgerechnet hatte. »Na ja, so Pi mal Daumen zwischen fünf und acht Millionen. Ist gutes Land, guter Boden, dazu das Vieh, die Gebäude und so weiter. Jetzt haben Sie aber was in der Hand gegen meine Mutter und mich … Ach was, ich sag Ihnen, wie’s war – meine Mutter hatte den Plan, und ich hab den Alten kaltgemacht. Und weil Allegra sowieso sterben wird, brauchen wir nicht mal durch drei zu teilen. Und mal sehen, vielleicht gibt’s ja noch einen tragischen Unfall, so dass entweder meine Mutter oder ich alles einsacken kann. Wir belauern uns schon die ganze Zeit, und irgendwann macht’s peng! Kommt nur drauf an, wer schneller ist.«
»Sie sind wirklich der geborene Zyniker.«
»Nee, so geboren wird man nicht, das sieht man am besten an Allegra. Aber glauben Sie, ich merk nicht, wo Sie mich hinhaben wollen?«
»Sie interpretieren meine Fragen völlig falsch. Tut mir leid, aber ich hatte und habe auch nicht vor, Sie eines Verbrechens zu beschuldigen.«
Brandt sah, dass die Zeit fortgeschritten war, erhob sich und reichte Thomas wie zur Versöhnung die Hand, der sie auch nahm. Brandt hätte noch viele Fragen gehabt, doch er hatte das Gefühl, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt war. »Ich muss los, es gibt noch eine Menge Dinge zu klären.«
»Beehren Sie uns bald wieder«, sagte Thomas grinsend.
»Ganz bestimmt sogar. Wiedersehen.« An der Tür blieb Brandt stehen, drehte sich um und sagte: »Sorry, hab wohl doch zu oft Columbo gesehen. Eine letzte Frage: KennenSie die Clubs und Bars, in denen sich Ihr Vater aufgehalten hat? Und wie oft war er dort?«
»Keine Ahnung, ich hab mich nie dafür interessiert. Fragen Sie doch Müller, unsern Tierarzt. Der wird Ihnen das bestimmt sagen können, denn wenn der Alte überhaupt so was wie einen Freund hatte, dann Müller. Bei der Gelegenheit fragen Sie ihn doch mal so ganz nebenbei nach den Geschäften, die er mit Wrotzeck getätigt hat.«
»Wo finde ich diesen Müller?«
»Warten Sie, ich geb Ihnen seine Visitenkarte.« Thomas zog eine Schublade des Sekretärs heraus, entnahm ihr die Karte und reichte sie Brandt. »Viel Spaß.«
»Was glauben Sie, wann kann ich ihn am besten antreffen?«
»Steht alles auf der Karte. Aber rufen Sie ihn doch vorher an, Sie müssen ihm ja nicht gleich auf die Nase binden, dass Sie ein Bulle sind.«
»Lassen Sie mich mal machen«, sagte Brandt und warf einen Blick auf die Karte. Müller hatte heute nachmittag von drei bis sieben Sprechstunde. Er würde ihn kurz vor sieben aufsuchen, dann konnte er länger zu Hause bleiben und überlegen, wie er die Ermittlungen am besten weiterführte. Bis jetzt hatte er viel erfahren, und doch war er kaum schlauer als gestern.
Kaum hatte Brandt das Haus verlassen, fiel ihm schon wieder das Gespräch mit dem Pfarrer ein. Er beschloss, kurz bei Köhler reinzuschauen, bevor er zurück nach Offenbach fuhr, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, ihn anzutreffen, eher gering war. Obwohl, dachte Brandt, jetzt
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