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Schrei der Nachtigall

Schrei der Nachtigall

Titel: Schrei der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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hat er auch einen Kommentar abgegeben oder ein paar aufmunternde Worte gesprochen oder sogar Beifall geklatscht, aber an diesem Abend hat er mich nur kurz angesehen, und ich hatte das Gefühl, dass es ihm nicht gut ging. Doch wenn ich jetzt zurückschaue, dann habe ich wieder sein Gesicht vor Augen, und es kommt mir vor, als hätte er den Teufel gesehen.« Caffarellis Blick wirkte jetzt noch trauriger und ernster. »Sie halten mich vielleicht für verrückt, aber so habe ich ihn vorhernoch nie erlebt. Er war immer freundlich zu allen. Und er hat seinen Beruf geliebt, was ich jetzt nicht mehr glaube. Ich weiß nicht, vielleicht hat er tatsächlich den Teufel gesehen, oder er selbst hat etwas getan, was nicht recht war. Ich weiß es nicht, ich weiß es einfach nicht.«
    »Aber Sie erinnern sich nicht, wann genau das war? Überlegen Sie bitte gut, es könnte sehr wichtig für mich sein.«
    Caffarelli dachte nach und sagte nach einer Weile: »Es war schon dunkel draußen. Sie müssen wissen, unsere Proben sind immer mittwochs und samstags und beginnen um achtzehn Uhr. Nur jetzt, wo Allegra im Krankenhaus ist, haben wir die Zeiten geändert. Es muss im März gewesen sein, als noch keine Sommerzeit war, aber es war auch nicht mehr Winter.« Er kaute auf der Unterlippe, während er angestrengt nachdachte. »Ja, es war im März 2001, ganz bestimmt sogar.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ziemlich. Ich habe ein recht gutes Gedächtnis. Glauben Sie, dass es etwas mit dem Tod von Herrn Wrotzeck zu tun haben könnte?«
    »Ich weiß es nicht. Ich sehe im Moment noch keine Verbindung.«
    »Aber Sie haben eine innere Stimme, die Ihnen etwas zuflüstert«, bemerkte Caffarelli wie selbstverständlich.
    »Sie erstaunen mich immer wieder aufs Neue«, entgegnete Brandt anerkennend.
    »Ich sehe es an Ihrem Gesicht. Sie versuchen gerade ein Puzzle zusammenzusetzen, aber ich kann Ihnen leider nicht mehr sagen, als ich weiß.«
    Brandt sah Caffarelli an, dieser erwiderte den Blick, und für eine Weile fiel kein Wort, kein Geräusch drang von draußen herein, lediglich aus der Küche war leises Klappern von Geschirr zu vernehmen.
    »An dem besagten Abend, war da außer Pfarrer Lehnert noch jemand in der Kirche?«
    »Es sind fast immer ein oder zwei da. Manchmal hören sie uns bei den Proben zu …«
    »Nein, ich meine, können Sie sich erinnern, wo Herr Lehnert herkam? Vielleicht aus dem Beichtstuhl?«
    »Das kann sein, aber ich stehe immer mit dem Rücken zum Beichtstuhl, also konnte ich auch nicht sehen, wo Herr Lehnert herkam.«
    »War Herr Lehnert im Kirchengebäude, als Sie mit der Probe begannen?«
    »Nein, ich habe ihn zumindest nicht gesehen, aber es gibt ja auch noch Nebenräume.«
    »Wo befinden sich diese Nebenräume?«
    »Seitlich neben dem Altar. Ja, wenn er aus einem dieser Räume gekommen wäre, dann hätte ich das gesehen, aber er kam von hinten …«
    »Und hinten ist nur der Beichtstuhl, richtig?«
    »Ja. Und auch der Eingang.«
    »Das heißt, Sie haben niemand anders bemerkt.«
    »Ich würde es Ihnen sagen, glauben Sie mir. Ich wünschte, ich könnte Ihnen weiterhelfen.«
    »Sie glauben gar nicht, wie sehr Sie mir geholfen haben. Und ich möchte Sie bitten, unser Gespräch vorerst für sich zu behalten.«
    »Ich gebe Ihnen mein Wort darauf. Und sollten Sienoch Fragen haben, Sie sind jederzeit herzlich willkommen.«
    »Danke, das höre ich gerne«, erwiderte Brandt, der Matteo Caffarelli, diesen kleinen schmächtigen Mann, am liebsten umarmt hätte, denn er war wie jemand, den er schon seit langem zu kennen meinte, obwohl er ihn heute vormittag zum ersten Mal gesehen hatte. Ein durch und durch liebenswürdiger und hilfsbereiter Mensch, einer, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Und wenn Brandt in seinen Einschätzungen Menschen betreffend normalerweise sehr vorsichtig war, so war er sich bei Caffarelli absolut sicher. »Ich werde dann mal gehen. Es ist spät, und ich will Sie nicht unnötig aufhalten. Und wegen der Uhr können Sie sich Zeit lassen, das hat keine Eile. Und grüßen Sie Allegra von mir.«
    »Ich glaube, Allegra würde sich sehr freuen, wenn Sie sie wieder besuchen würden. Es war Ihr Besuch, weshalb sie heute die Augen geöffnet hat.«
    Brandt schüttelte den Kopf. »Herr Caffarelli, Ihre Bescheidenheit in allen Ehren, aber es ist Ihr Verdienst.«
    »Sie verstehen nicht, Commissario Brandt«, sagte Caffarelli ernst. »Ich kenne Allegra, sie muss gestern gespürt haben, dass jetzt die Zeit gekommen ist, die

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