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Schrei der Nachtigall

Schrei der Nachtigall

Titel: Schrei der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Mondphasenanzeige und das Gehäuse mit den winzig kleinen und doch sehr exakten Gravuren. Hier, dasSternzeichen Steinbock, das heißt, Ihr Vorfahr hat diese Uhr entweder zum Geburtstag geschenkt bekommen oder sie sich selbst zum Geschenk gemacht … Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was diese Uhr in etwa wert ist?«
    Brandt schüttelte den Kopf. »Nein, ich kenne mich mit Uhren überhaupt nicht aus. Ich trage meine schon seit zehn oder elf Jahren.«
    Caffarelli warf nur einen kurzen Blick auf Brandts linkes Handgelenk und sagte: »Ja, die heutigen Uhren sind nicht mehr mit den alten zu vergleichen. Schauen Sie sich doch nur diesen Modekram an, bunte Armbänder, bunte Gehäuse, wie Bonbons. Oder Uhren, die zwar noch einen noblen Namen tragen, aber am Fließband gefertigt werden. Die meisten Uhren zeigen einem nur noch, dass man entweder keine Zeit mehr hat oder in Zeitdruck ist oder etwas nicht verpassen darf. Aber das hier, das ist noch Handwerkskunst in höchster Vollendung. Eine Favre Boulle Genève in diesem Zustand …«
    »Sie geht aber nicht mehr, und das ist ja wohl das Wichtigste«, bemerkte Brandt lakonisch.
    »Aber nicht für mich, Herr Brandt. Lassen Sie sie hier, ich werde ihr wieder Leben einhauchen.«
    »Und, was ist sie wert?«, fragte Brandt neugierig.
    »Zwischen dreißig- und vierzigtausend Euro. Der ideelle Wert ist jedoch unschätzbar.«
    Brandt machte ein ungläubiges Gesicht und stammelte: »Was, dreißig- bis vierzigtausend? Sind Sie da sicher?«
    »Absolut. Ich verspreche Ihnen, ich werde mich bald um diese Pretiose kümmern. Wissen Sie, die Uhr, die Sie umhaben, zeigt Ihnen zwar die Zeit an, aber sie ist wertlos,wenn ich das so sagen darf. Sie hat ein Quarzwerk, so dass sie möglichst genau geht, aber wie die meisten Uhren ist sie bloß ein Gebrauchsgegenstand. Wir lesen die Zeit ab und können sie doch nicht aufhalten, wir können sie nur nutzen. Carpe diem. Nur wenn wir die uns geschenkte Zeit auch nutzen, werden wir eines Tages sagen können: Ich habe meine Zeit sinnvoll verbracht. Wissen Sie, eine wirklich gute Uhr geht nie genau, die eine geht vor, die andere nach, es ist wie im Leben. Mal ist man etwas zu früh, mal etwas zu spät. Eine Minute hat sechzig Sekunden, eine Stunde sechzig Minuten, und im Durchschnitt schlägt das Herz sechzigmal in der Minute. Mal schneller, mal langsamer. Die Uhrmacher damals waren noch Künstler. Heute gibt es auch noch einige von ihnen, die solche Kunstwerke herstellen, aber sie werden immer seltener. Michel Parmigiani ist so einer, er fertigt fast nur Unikate. Aber seine Uhren sind sowohl für Sie als auch für mich unerschwinglich.«
    »Die wenigsten können sich eine solch teure Uhr leisten.«
    »Ich weiß, und ich wollte Sie auch nicht belehren, aber wenn man sich wie ich seit vielen Jahren mit Uhren beschäftigt, hat man viel Zeit zum Nachdenken, über das Leben und den Tod und wie die Zeit scheinbar immer schneller dahinfliegt, je älter wir werden. Doch ich will Sie nicht langweilen, Sie sind schließlich gekommen, um mir ein paar Fragen zu stellen. Bitte, ich stehe zu Ihrer Verfügung«, sagte er, lächelte wieder und nahm einen Schluck von seinem Saft.
    »Danke für Ihre Ausführungen. Sagen Sie, Sie sind Italiener,aber Sie sprechen perfekt Deutsch, Sie haben nur diesen leichten Akzent, den meine Mutter auch hat.«
    »Ich dachte, wenn ich schon Gast in diesem Land sein darf, gebietet es die Höflichkeit, auch die Sprache zu erlernen. Sprechen Sie Italienisch?«
    »Meine Mutter hat darauf bestanden, dass ich zweisprachig aufwachse.«
    »Dann könnten wir uns auch auf Italienisch unterhalten«, sagte Caffarelli lächelnd.
    »Belassen wir’s bei Deutsch. Herr Caffarelli, Sie haben heute morgen gesagt, dass Ihr Bezug zur Familie Wrotzeck hauptsächlich über Allegra bestehe. Und ich habe Sie auch nach Herrn Wrotzeck gefragt, und Sie sagten, dass er ein Mann mit großen Problemen gewesen sei. Können Sie mir das näher erläutern?«
    »Nein, leider nicht. Die wenigen Male, die wir uns begegneten, waren nicht sehr erfreulich, aber das ist nicht wichtig.«
    »Vielleicht doch, da ich mir ein Bild von ihm zu machen versuche, denn ich möchte herausfinden, warum er sterben musste.«
    »Also gut, er hatte etwas dagegen, dass Allegra in unserem Chor singt. Er wollte auch nicht, dass sie Abitur macht. Einmal platzte er mitten in unsere Probe hinein und hat sie einfach am Arm gepackt und rausgezogen. Er war betrunken, deshalb habe ich das nicht so ernst

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