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Schrei der Nachtigall

Schrei der Nachtigall

Titel: Schrei der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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einen kurzen Blick darauf und begab sich zurück zum Tresen, wo der ältere Herr noch immer wartete. Sie setzte wieder ihr verführerischstes Lächeln auf, legte eine Hand auf seinen Oberschenkel und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    Brandt war müde, er war seit beinahe sechzehn Stunden im Dienst und wollte nur noch nach Hause und ins Bett. Achthundert Euro pro Abend, und das mindestens zweimal die Woche. Macht mindestens sechstausendvierhundert im Monat. Und Müller hatte gelogen, als er sagte, Wrotzeck habe ihn oft eingeladen. Junge, Junge, ich werde dir morgen mal richtig auf den Zahn fühlen.

Donnerstag, 22.20 Uhr
    Was habt ihr so lange zu besprechen gehabt?«, fragte Anna Caffarelli ihren Mann und ging vor ihm ins Wohnzimmer, ohne jedoch die Tür zuzumachen. Sie setzten sich zusammen aufs Sofa. Anna nahm Matteos Hand.
    »Wir hatten doch heute morgen keine Zeit, und er wollte von mir noch mehr über Herrn Wrotzeck wissen«, antwortete er.
    »Nur über Wrotzeck?«, fragte sie besorgt. »Sonst hast du ihm nichts erzählt?«
    »Was soll ich ihm erzählt haben? Wir haben uns auch noch über Allegra und den Pfarrer unterhalten …«
    »Über Lehnert?« Anna neigte den Kopf leicht zur Seite und sah ihren Mann prüfend an. »Warum über ihn?«
    »Weil Herr Brandt ein sehr intuitiver und einfühlsamer Mensch ist. Er hat erkannt, dass mit unserem Pfarrer etwas nicht stimmt, und er hat mich gefragt, was der Grund sein könnte.«
    »Ach, Matti«, so nannte ihn Anna liebevoll, »du bist immerviel zu gutmütig und vor allem gutgläubig. Der Kommissar wollte dich doch nur aushorchen …«
    »Nein, das wollte er nicht«, entgegnete Matteo mit diesmal energischer Stimme. »Du magst recht haben, ich bin vielleicht zu gutgläubig, aber ich kenne die Menschen. Und der Commissario ist sehr nett. Natürlich stellt er viele Fragen, aber wenn Herr Wrotzeck tatsächlich umgebracht wurde, dann muss er doch wissen, wer es war und warum derjenige es getan hat. Verstehst du das nicht? Und habe ich dich jemals enttäuscht?«
    Anna wiegte den Kopf ein paarmal hin und her und sagte: »Doch, ich verstehe dich, und nein, du hast mich nie enttäuscht. Im Gegenteil. Ich bin eben nur ziemlich kritisch, und das weißt du auch.« Sie legte ihren Kopf an seine Schulter, und er streichelte ihr übers Haar, das ein wenig nach Küche roch, doch ihm machte das nichts aus, er liebte Anna wie am ersten Tag. Und es stimmte, er war manchmal etwas blauäugig, aber andererseits fragte er sich, was denn schlimm daran sei, jeden Menschen gleich zu behandeln? Und gleich bedeutete für ihn, jedem Respekt zu erweisen, ganz egal, woher die Person stammte oder welcher Ruf ihr vorauseilte. Selbst wenn ein negativer Ruf zu Recht bestand, war dies für ihn noch längst kein Grund, denjenigen schlechter zu behandeln als einen, der scheinbar integer war. So war er nun mal, und er würde sich auch nie ändern. Er war sich aber auch im klaren, dass Anna selbst nach achtzehn Jahren Ehe noch hie und da Probleme mit seiner Art hatte. Nur, was sollte er dagegen tun? Kämpfen? Anfangen, andere anzuschreien, wenn irgendetwas nicht so lief, wie er es erwartete? Oder gar gewalttätigwerden? Sein Wesen war anders, ruhig, ausgeglichen, liebevoll. Und eigentlich mochte Anna genau das an ihm, auch wenn sie sich hin und wieder wünschte, er wäre etwas dominanter. Andererseits wusste sie aber, dass seine Dominanz eben sein unerschütterlicher Glaube und seine Liebe für die Menschen war, nur war diese Dominanz schwer zu erkennen. Aber die Menschen, die tagtäglich mit ihm zu tun hatten, ob in seinem Geschäft oder im Chor, diese Menschen spürten, dass er ein durch und durch aufrichtiger und selbstloser Mann war, der niemandem eine Angriffsfläche bot. Und wenn es doch einen Griesgram gab, der meinte, sein Leben lang mit einem mürrischen, unzufriedenen Gesichtsausdruck herumlaufen zu müssen, so brauchte er nur ein paarmal mit ihm zusammen zu sein, um eine Kehrtwendung zu vollziehen. Anna hatte schon einige dieser wundersamen Wandlungen erlebt.
    »Ich muss dir etwas erzählen«, sagte Matteo und streichelte Anna weiter übers Haar. »Ich wollte es eigentlich schon beim Essen erzählen, aber ich dachte, es wäre besser zu warten, bis Herr Brandt wieder gegangen ist …«
    »Ja, und? Jetzt mach’s doch nicht so spannend.«
    »Allegra hat heute zum ersten Mal die Augen richtig aufgemacht und ein paar Worte gesagt.«
    Anna schoss wie von der Tarantel gestochen hoch und sah Matteo ungläubig

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