Schrei der Nachtigall
an die Wäsche zu gehen, doch das liegt schon ein paar Jahre zurück. Rainer weiß bis heute nichts davon. Sollte jemand Wrotzeck umgebracht haben, dann hat er’s auch verdient, ich weine ihm jedenfalls keine Träne nach.«
»Würden Sie bitte mal nach Ihrem Mann schauen, nicht, dass er wieder eingeschlafen ist.«
Sie lief mit schnellen Schritten ins Bad, sprach mit ihm und half ihm beim Anziehen. »Was hast du letzte Nacht bloß gemacht?«, hörte Brandt sie sagen, und es klang gar nicht mehr so, als wollte sie unbedingt, dass er auszog.
»Mich sinnlos besoffen. Gudrun, ich liebe dich, und es tut mir leid, was ich gestern zu dir gesagt habe. Ich habe es nicht so gemeint. Alles tut mir leid, wirklich alles. Mann, ist mir schlecht, und mein Schädel brummt. Und mir ist schwindlig.«
»Ist schon gut. Du nimmst jetzt erst mal ein Aspirin und isst eine Kleinigkeit. Und die Praxis bleibt heute geschlossen.«
»Ist der Polizist noch da?«
»Ja, er wartet im Wohnzimmer auf dich. Komm jetzt.«
Müller warf Brandt einen kurzen ängstlichen Blick zu und ging in die Küche, schluckte das Aspirin, das neben dem Glas Wasser lag, und aß ein halbes Brötchen mit Marmelade und trank eine Tasse Kaffee.
Nach einer halben Ewigkeit, es war mittlerweile zehn Uhr, kam Müller ins Wohnzimmer und setzte sich vorsichtig in einen Sessel.
»Was wollen Sie bloß schon wieder von mir?«
»Frau Müller, ich würde gerne mit Ihrem Mann unter vier Augen reden. Ist das möglich?«
»Ja, ich geh mal in die Praxis, ein bisschen aufräumen und vor allem lüften.«
Brandt wartete, bis sie die Tür hinter sich zugemacht hatte, und sagte: »Geht’s wieder einigermaßen?«
»Nein, wenn Sie’s genau wissen wollen. Ich fühl mich zum Kotzen.«
»Können Sie mir trotzdem ein paar Fragen beantworten?«
Müller fasste sich mit beiden Händen an den Kopf und schloss die Augen. »Fangen Sie an.«
»Sie erinnern sich an unser Gespräch von gestern abend?«
»So besoffen kann ich gar nicht sein.«
»Sie haben gesagt, dass Sie meistens von Wrotzeck in die Clubs eingeladen wurden. Ich habe aber eine andere Aussage, laut der immer abwechselnd bezahlt wurde. Und ich habe erfahren, was Sie so pro Abend in etwa ausgegeben haben.«
Müller schnaufte schwer und erwiderte: »Ich weiß, Sie werden gleich sagen, das ist ein Haufen Geld. Und Sie haben recht, das ist ein Haufen Geld.«
»Sie allein haben in den letzten drei Jahren monatlich mindestens dreitausend Euro dort gelassen. Das ist auch für einen Tierarzt eine Menge Holz. Woher haben Sie so viel?«
»Ist das nicht egal? Ich hab’s eben.«
Brandt, dem die Zeit davonlief, wurde allmählich ungeduldig, versuchte aber dennoch, die Ruhe zu bewahren.
»Warum haben Sie sich so sinnlos betrunken? War es mein Besuch, oder haben Sie Angst?«
Müller wandte das Gesicht zum Fenster, und seine Kiefer mahlten aufeinander. »Meine Frau hat mich rausgeschmissen, deshalb hab ich mich voll laufen lassen. Sonst noch was?«
»Womit hatte Wrotzeck Sie in der Hand? Sie sind nicht der Typ, der mit einem wie ihm gut Freund ist.«
Obwohl es Müller ziemlich schlecht ging, sprang er auf, musste sich aber gleich am Tisch festhalten, weil sich alles um ihn drehte. »Lassen Sie mich doch endlich zufrieden, Sie sehen doch, dass ich mich beschissen fühle. Und außerdem, was geht es Sie an, mit wem ich befreundet bin und mit wem nicht?! Verschwinden Sie, und lassen Sie uns zufrieden. Wrotzeck ist tot, und das ist auch gut so.«
»Warum ist das gut so? Dann war es also doch keine Freundschaft, obwohl Sie jahrelang mit ihm in diverse Clubs gepilgert sind. Mann, jetzt rücken Sie doch endlich mit der Sprache raus! Was hat Sie und Wrotzeck verbunden? Hat er Sie erpresst?« Brandt meinte zu sehen, wieMüller zusammenzuckte, doch er erhielt keine Antwort. Er erhob sich und sagte: »Ich werde gehen, aber glauben Sie bloß nicht, dass Sie mich so schnell loswerden. Ich komme wieder und wieder und wieder, bis ich erfahren habe, was zwischen Ihnen und Ihrem Kumpel war.«
»Machen Sie doch, was Sie wollen. Ich habe alles gesagt.«
Du hast Angst, dachte Brandt, du hast eine solch erbärmliche Angst. Aber wovor? Vor Wrotzeck brauchst du keine mehr zu haben, der ist tot. Also was gibt es noch, wovor du Angst haben könntest?
»Ruhen Sie sich aus, damit Sie bei meinem nächsten Besuch fit sind. Und noch was, reden Sie mit Ihrer Frau, sie ist sehr verletzt.«
Müller winkte nur ab, Brandt verließ die Wohnung grußlos. Unten
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