Schrei der Nachtigall
mit giftigem Blick aus stechend blauen Augen vor ihm stand.
»Was ist los? Ich habe mit meinem Mann nichts mehr zu tun!«, sagte sie laut und mit schriller Stimme, die Brandt durch Mark und Bein ging. Eine Stimme, die zu ihrem tödlichen Blick passte.
»Das ist nicht mein Problem. Aber vielleicht können Sie mir trotzdem freundlicherweise verraten, wo ich ihn finden könnte? Oder ist das zu viel verlangt? Sein Wagen steht hier.«
»Geht mich nichts mehr an«, erwiderte sie eisig.
»Ist er vielleicht in der Praxis?«
»Woher soll ich das wissen?!«
»Hören Sie, ich kann diesen Ton nicht leiden, und ich weiß auch nicht, was zwischen Ihnen und Ihrem Mann vorgefallen ist, ich möchte lediglich zu ihm und mich mit ihm unterhalten. Haben Sie das verstanden?«
»Ja, hab ich. Genauso, wie ich alles verstanden habe, was Sie gestern mit ihm besprochen haben.«
»Ah, so ist das also, Sie haben gelauscht.«
»Hab ich nicht, das Fenster war gekippt, und ich hab auf der Bank gesessen und genäht. Soll doch der alte Hurenbock sehen, wo er bleibt, in die Wohnung kommt der mir jedenfalls nicht mehr.«
»Das müssen Sie unter sich ausmachen. Wo hat er heute nacht geschlafen, oder wissen Sie das auch nicht?«
»Der hat ’n Bett in der Praxis, ich hab ihn heut noch nicht gesehen.«
»Tja, dann wollen wir doch mal schauen, ob wir in die Praxis reinkommen. Haben Sie einen Schlüssel?«
»Nein. Aber versuchen Sie doch einfach, die Tür einzutreten. Meinen Segen haben Sie.«
Alte Giftspritze, dachte Brandt und drängte sich an der Frau, die vom Äußeren her nicht überwältigend, aber doch ganz passabel aussah und bestimmt nicht älter als Mitte dreißig war, vorbei in den Flur.
»Danke, ich brauche Sie nicht mehr.«
»Aber …«
»Nichts aber! Sie können wieder gehen, und bitte bleiben Sie oben, solange ich mit Ihrem Mann rede.«
»Das ist also der Dank für meine Hilfsbereitschaft!«
»Sollte ich was von Ihnen wollen, sag ich Ihnen schon Bescheid. Oder ich lade Sie aufs Präsidium vor. Auf Wiedersehen.«
Frau Müller machte auf dem Absatz kehrt, trampelte die Treppe nach oben und knallte die Tür hinter sich zu. Er hörte sie die Kinder ankeifen und dachte nur: Wenn ich mit der verheiratet wäre, ich hätte mir längst einen Strick genommen. Kein Wunder, dass Müller zu Huren gegangen ist.
Er stand vor der Praxistür und hämmerte mit der Faust dagegen, wartete, keine Reaktion. Nach fünf Minuten gab er es auf. Seine Hand tat schon weh. Er legte das Ohr an die Tür, nichts.
Also gut, dann wollen wir mal. Brandt zog sein ganzspezielles Werkzeug, von dem nur Eberl etwas wusste, aus der Jackentasche, inspizierte das Schloss und schaffte es, die Tür nach einigen Sekunden zu öffnen. Er trat ein, machte sie hinter sich zu und begab sich in den Behandlungsraum, von dem drei Türen abgingen. Hinter einer davon hörte er lautes Schnarchen. Er drückte die Klinke herunter, der Gestank von abgestandener Luft und Schnaps schlug ihm entgegen. Der Raum war fensterlos, eine kleine Lampe, die die ganze Nacht über an gewesen war, spendete diffuses Licht. Müller lag auf dem Bett, den Mund halb offen. Er war vollständig angekleidet, vor dem Bett standen eine leere und eine volle Wodkaflasche sowie sechs leere Bierdosen.
Brandt rüttelte ihn kräftig an den Schultern. »He, Mann, aufwachen!«
»Lass mich zufrieden!«, knurrte Müller und drehte sich auf die Seite.
»Nix da, jetzt wird nicht mehr geschlafen!«, herrschte Brandt ihn an. »Aufstehen, Polizei!« Er wiederholte seine Aufforderung dreimal, bis Müller endlich die Augen aufschlug und sich langsam umdrehte.
»Hä? Was wollen Sie denn schon wieder?«, lallte er.
»Mit Ihnen reden. Stehen Sie auf oder setzen Sie sich wenigstens hin. Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?«
»Mir doch egal!« Er setzte sich mühsam auf, hielt sich den Kopf und sagte mit schwerer Stimme: »O Mann, mein Schädel. Scheiß drauf, ich brauch was zu trinken.« Er wollte bereits nach der noch unangebrochenen Wodkaflasche greifen, doch Brandt war schneller und nahm sie an sich.
»Schluss damit. Ziehen Sie sich erst mal um, Sie haben sich ja total eingesaut«, sagte Brandt streng und mit Blick auf die Hose und das Bettlaken. »Außerdem stinkt’s hier drin wie in einem Pissoir oder einem Schweinestall.«
»Lecken Sie mich am Arsch und hauen Sie ab, ich bin müde und will meine Ruhe.«
»Die können Sie haben, nachdem Sie mir ein paar Fragen beantwortet haben.«
Müller hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher