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Schrei der Nachtigall

Schrei der Nachtigall

Titel: Schrei der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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was ich auch verstehen kann. Doch Ihr Leben hat sich an jenem Abend grundlegend geändert.«
    Lehnert drückte seine Zigarette aus und zündete sich gleich eine neue an. Er schwieg eine Weile, sah Brandt durch den Rauch hindurch an und sagte schließlich: »Ich sehe, Sie haben Erkundigungen über mich eingeholt. Ja, manchmal gibt es Ereignisse im Leben, die unseren menschlichen Verstand überfordern und uns nachdenklicher werden lassen.«
    »Und Wrotzecks Beichte hat Sie nachdenklicher werden lassen. Sie haben gestern meine Frage, ob sie ihm die Absolution erteilt haben, nicht beantwortet. Mich würde aber interessieren, in welchen Fällen die Absolution nicht erteilt wird.«
    Lehnert sah Brandt mit undurchdringlicher Miene an und antwortete: »Ein Hauptgrund ist, dass der Beichtende seine Sünde oder seine Sünden nicht bereut. Aber wenn ich Ihnen jetzt alles aufzählen würde, wann die Absolution nicht erteilt werden darf oder kann … Nein, dafür reicht die Zeit nicht.«
    »Ehebruch? Mord?« Brandt ließ nicht locker.
    »Unter Umständen.« Lehnert hielt sich wie die meiste Zeit bedeckt. Nichts in seinem Gesicht verriet, was in ihm vorging. Er rauchte, und Brandt kam es vor, als säße ihm gegenüber einer jener Männer aus dem Film
Momo
, die den ganzen Tag nichts anderes taten als zu rauchen. Brandt, der merkte, dass er nicht weiterkam, fragte: »Würden Sie mir Ihre Kirche zeigen?«
    »Gerne.« Lehnert erhob sich zusammen mit Brandt, und sie gingen wortlos zu dem Kirchengebäude, das schon von außen eine eher kühle, nüchterne Atmosphäre verbreitete. Drinnen war es nicht anders, das Erhabene fehlte, die alten Bänke, die Buntglasfenster, die Gewölbedecken, die Pfeiler. Aber es roch nach Weihrauch, ein Geruch, der wohl nie aus dem Gemäuer verschwinden würde, der aber nicht unangenehm war.
    »Wo finden die Chorproben immer statt?«, fragte Brandt.
    »Hier vorn.« Lehnert zeigte auf die Fläche, wo auch der Altar war.
    »Und der Beichtstuhl ist links hinter uns. Das heißt, Wrotzeck kam zu Ihnen während der Probe …«
    »Woher wissen Sie, dass es während der Probe war?«, fragte Lehnert.
    »Herr Caffarelli hat ein sehr gutes Gedächtnis. Im Gegensatz zu Ihnen konnte er sich aber nicht mehr an das genaue Datum erinnern. Er weiß nur, dass Sie an diesem Abend eine Begegnung der besonderen Art gehabt haben müssen. Er hat recht, oder?«
    »Mag sein«, war die karge Antwort.
    »Und Wrotzeck kam zu Ihnen, während seine Tochter sang.« Er wandte sich Lehnert zu und sah ihm in die Augen. »Ich habe Ihnen übrigens gestern richtig zugehört, und ich glaube, ich kann das Rätsel bald lösen.«
    »Ich wünsche Ihnen viel Erfolg«, sagte Lehnert müde. »Aber der Erfolg, den Sie vielleicht haben werden, wird keiner sein. Er wird für Sie vieles in einem andern Licht erscheinen lassen, wenn es denn überhaupt noch ein Licht gibt.«
    »Bitte?«, fragte Brandt verwundert.
    »Es ist symbolisch gemeint.«
    »Aha. Kennen Sie Dr. Müller, den Tierarzt?«
    »Nur flüchtig.«
    »War er auch schon bei Ihnen, um zu beichten?«
    »Nein, er ist evangelisch. Brauchen Sie mich noch? Ich habe gleich einen Termin. Sie können aber jederzeit wiederkommen.«
    »Ich wollte mir nur mal die Kirche anschauen. Übrigens, was meinten Sie gestern mit ›nichts geschieht einfach so. Schon gar nicht solche Unfälle‹?«
    »Finden Sie es heraus, ich kann Ihnen leider nichts weiter sagen. Nur so viel – Sie sind auf dem richtigen Weg. Führen Sie Ihre Gedankengänge weiter, und Sie gelangen ans Ziel. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen.«
    Lehnerts Schritte hallten von den Wänden wider. Brandt sah ihm nach, wie er gebeugt und von einer überschweren Last schier erdrückt durch den Ausgang verschwand.
    Am 24. März 2001. Was ist da passiert? Oder an den Tagen oder Wochen oder Monaten zuvor? Was habe ich übersehen oder überhört? Sehe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht oder das große Ganze vor lauter Details? Die Antwort kann eigentlich nur im Hause Wrotzeck zu finden sein. Wo sonst?

Freitag, 11.50 Uhr
    Brandt fuhr auf den Wrotzeck-Hof und ging zum Haus. Ein paar Arbeiter saßen um einen großen Tisch im Freien, aßen, tranken und unterhielten sich. Liane Wrotzeck erschien nach dem Klingeln an der Tür und sagte: »Kommen Sie jetzt jeden Tag?«
    »Nur solange der Tod Ihres Mannes nicht aufgeklärt ist. Ich möchte Sie auch nicht lange stören, ich will nur wissen, ob Ihr Mann ein eigenes Zimmer hatte oder ein Büro?«
    »Er

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