Schrei der Nachtigall
da stutzig machen? Verraten Sie mir, was Sie mit Ihrer absurden Theorie, dass irgendwas nicht stimmen könnte, bezwecken wollen? Bitte, ich höre.«
Köhler war aufgebracht, er rauchte hastig, drückte die Zigarette aus, ging zum Schrank, öffnete eine Klappe und holte zwei Gläser und eine Flasche Schnaps heraus.
Brandt winkte ab. »Nein danke, nicht für mich …«
»Sie trinken jetzt einen mit mir, das sind Sie mir schuldig. Außerdem ist das selbstgebranntes Kirschwasser. Das werden Sie ja wohl vertragen.« Er stellte die Gläser auf den Tisch und schenkte sie bis zum Rand voll. »Prost.«
Brandt nahm das Glas widerwillig und schüttete den Inhalt in einem Zug hinunter. Es brannte für einen Augenblick in seinem Magen, er war Schnaps nicht gewöhnt, trank aber Köhler zuliebe und um ihn auf diese Weise vielleicht zu besänftigen.
»So, und jetzt noch einen, und dann erklären Sie mir Ihre abenteuerliche Theorie.«
»Sie mögen mich für verrückt halten, aber ich glaube, dass Wrotzeck mit den Unfällen zu tun hatte. Fragen Sie mich nicht, warum ich das glaube, aber ich glaube auch nicht an diese berühmten Zufälle.«
Köhler lachte wieder auf, diesmal noch eine Spur höhnischer. »Das ist tatsächlich verrückt! Herr Brandt, woran Sie glauben, interessiert mich herzlich wenig, für mich zählen nur Fakten. Sie haben die Unfallberichte wohl doch nicht richtig studiert, sonst wäre Ihnen aufgefallen …«
»Ich habe sie sogar sehr intensiv studiert …«
»Ah, dann hat Wrotzeck also die Autos so manipuliert,dass selbst die besten Experten das nicht gemerkt haben. Tolle Idee, zugegeben, aber so clever war der nicht. Der Typ war in letzter Zeit doch mehr besoffen als nüchtern, falls Sie das noch nicht wissen sollten. Außerdem, wie hätte er irgendwas manipulieren können, die Autos standen schließlich bei uns immer in der Garage, und Wrotzeck hätte sich nie auf den Hof getraut, dazu war er dann doch zu feige. So, damit wäre das wohl geklärt. Wrotzeck mag alles Mögliche angestellt haben, aber mit den Unfällen hat er nichts zu tun, er kann nichts damit zu tun haben.«
»Als Anwohner kennen Sie sich doch aus – wie viele Unfälle passieren denn so auf dieser … Todesstraße?«
»Mir ist es scheißegal, wie viele Unfälle es dort schon gegeben hat, ich weiß nur, dass meine Familie vom Pech verfolgt ist, und ich werde damit leben können. Es waren tragische Zufälle, und ich habe keinen blassen Schimmer, was der da oben damit bezweckt hat, aber zu einem gläubigen Menschen hat er mich damit bestimmt nicht gemacht. Scheiße, Mann, Sie wollen den Mord an Wrotzeck aufklären und wühlen dabei in meinen Familienangelegenheiten rum. Das einzige, was Sie bis jetzt geschafft haben, ist, dass alte Wunden wieder aufbrechen. Wirklich toll! Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich habe noch zu tun.«
Brandt erhob sich und sagte: »Es tut mir leid, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten und ich wollte vor allem nicht böse Erinnerungen wecken.«
»Das haben Sie aber wunderbar geschafft. Eins noch zum Abschied, und dann will ich Sie hier nie wieder sehen:Bei dem Unfall von Johannes saß auch Allegra mit im Auto. Die beiden waren zusammen und sind auch fast immer zusammen gefahren, zumindest abends. Wrotzeck mag das größte Arschloch auf der nördlichen Halbkugel gewesen sein, aber dass er seine eigene Tochter umbringt, nee, das hätte selbst einer wie er nicht gebracht. Und er hätte nach Ihrer Theorie damit rechnen müssen, dass auch sie draufgeht. Adieu, Herr Kommissar.«
»Wiedersehen.«
Brandt fühlte sich elend, und zudem spürte er den Alkohol in seinem Kopf. Noch ein Glas mehr, und ich wäre nicht mehr fahrtüchtig, dachte er. Köhler lag wahrscheinlich gar nicht so falsch, es gibt Zufälle, die es eigentlich nicht geben dürfte. Er fuhr in die Innenstadt von Bruchköbel, um Lehnert aufzusuchen. Aber im Moment hätte er am liebsten alles hingeschmissen, am liebsten hätte er Elvira Klein angerufen, um ihr mitzuteilen, dass er den Fall abgab. Nein, dachte er entschlossen, ich ziehe das durch. Und ich werde die nötigen Beweise erbringen. Und wenn Köhler noch so sehr darauf beharrt, dass seine Familie einfach nur vom Unglück oder vom Pech heimgesucht wird, ich werde ihm zeigen, dass ich recht habe.
Ein kräftiger Regenschauer fegte übers Land, die dunkelgrauen Wolken angetrieben von einem böigen Westwind. Das passt ja zu diesem tristen Gespräch, dachte er, und für ein paar Sekunden
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