Schrei der Nachtigall
Augen zusammen und fixierte Brandt mit durchdringendem Blick.
»Könnte ich bitte die Adresse haben?«
»Klar. Warten Sie, ich schreib sie Ihnen auf«, antwortete er ungewohnt kühl. Er schob den Zettel über den Tisch, Brandt las die Adresse und steckte den Zettel ein.
»Gut. Ich hätte dann noch ein paar Fragen bezüglich des Unfalls Ihrer Frau. Der 23. März 2001, was war das für ein Tag?«
»Meinen Sie, welcher Wochentag?«
»Ja.«
»Ein Freitag. So was vergisst man nicht. Diese verfluchten Freitage! Genau wie bei Johannes.«
»Wo war Ihre Frau an dem Abend?«
Köhler sah Brandt verständnislos an und sagte: »Warum interessiert Sie das alles?«
»Weil die Antwort unter Umständen wichtig sein könnte.«
»Der Wochentag, an dem meine Frau gestorben ist, ist also wichtig. Na denn. Sie werden’s kaum für möglich halten, aber sie war auch in Hammersbach. Sie hat sich jeden Freitag mit ein paar Freundinnen zum Kegeln getroffen. Eben so ein richtiger Frauenverein.«
Ohne darauf einzugehen, fragte Brandt weiter: »Wissen Sie auch, wann in etwa sie dort losgefahren ist?«
Köhler schoss nach vorn. Er hatte die Hände gefaltet. Im grellen Licht der Halogenschreibtischlampe wirkten seine tiefen Falten um die Nase, den Mund und auf der Stirn noch tiefer. »Hören Sie, ich weiß über jede Sekunde diesesgottverdammten Abends Bescheid. Meine Frau hat wie jeden Freitag um Punkt sieben das Haus verlassen und ist bis um ziemlich genau Viertel nach elf mit ihren Freundinnen zusammen gewesen. Ich habe mit jeder einzelnen von ihnen gesprochen. Alle konnten sich erinnern, wie sie zum Parkplatz gegangen sind und sich voneinander verabschiedet haben. Alle haben dasselbe gesagt. Ist auch irgendwie logisch, denn sie hatten die Kegelbahn immer von halb acht bis elf reserviert. Das heißt, der Kegelverein besteht immer noch.«
»Und Ihre Frau ist immer dieselbe Strecke gefahren?«
»Alles andere wäre ein riesiger Umweg gewesen.«
»Ich gehe davon aus, dass Sie diese Straße in- und auswendig kennen, oder?«
»Was glauben Sie denn?! Für mich ist das nur noch die Todesstraße. Wussten Sie eigentlich, dass das Feld, wo das passiert ist, mir gehört? Scheiße! … Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie mit Ihren Fragen bei mir wieder alles hochholen?! Ich bin gerade dabei, mein Leben wieder einigermaßen zu ordnen, und da kommen Sie daher und stellen Fragen, wo und wann meine Frau und mein Sohn an den jeweiligen Abenden waren. Sie haben’s echt drauf. Als ob ich nicht schon genug gelitten hätte!«
»Tut mir leid, aber das gehört zu meinem Beruf …«
»Ach ja?« Köhler stand auf und stützte sich mit beiden Händen auf die Glasplatte. Seine Augen funkelten düster und gefährlich. »Dann erklären Sie mir doch bitte, was Sie mit diesen Fragen bezwecken? Finden Sie doch lieber raus, wer Wrotzeck den Hals umgedreht hat …«
»Herr Köhler, bitte, beruhigen Sie sich wieder, ich willes Ihnen erklären. Ich bin der Überzeugung, dass der Unfall Ihrer Frau und der Ihres Sohnes keine normalen Unfälle waren. Und ich werde es beweisen.«
Köhler lachte höhnisch auf, zog eine Zigarette aus seiner Hemdtasche und zündete sie an. »Sie wollen tatsächlich beweisen, dass … Hallo, bin ich hier im falschen Film?! Die Autos sind auf Herz und Nieren untersucht worden, wenn ich das so sagen darf, und es wurden keinerlei Hinweise …«
Brandt unterbrach Köhler mit einer Handbewegung. »Ich kenne die Akten. Ich habe die Berichte eingehend studiert, und ich habe mir auch die Fotos angesehen. Ich war sogar eben noch einmal an den Unfallstellen. Irgendetwas stimmt nicht, und ich werde es herauskriegen …«
»Sparen Sie sich die Mühe, da gibt es nichts rauszukriegen. Wahrscheinlich haben sowohl meine Frau als auch Johannes einen Fahrfehler begangen. Das ist im Übrigen auch die einzige Erklärung, die die Polizei hatte. Wir sind eben vom Pech verfolgt. Eine verfluchte, gestrafte, vom Pech verfolgte Familie.«
»Können wir bitte einen Moment sachlich bleiben?«
»Sachlich! Ich hab keinen Bock, sachlich zu bleiben.«
»Würden Sie mir trotzdem noch ein paar Fragen gestatten?«
»Scheiße!« Er schloss die Augen und atmete ein paarmal durch. »Fragen Sie schon.«
»Weder Ihre Frau noch Johannes hatten Alkohol im Blut. Hat Sie das nicht selbst von Anfang an stutzig gemacht?«
»Was, bitte schön, soll mich denn stutzig gemacht haben? Meine Frau ist vor dreieinhalb Jahren verunglückt,mein Sohn vor vier Monaten. Was soll mich
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