Schrei in der Nacht
Phantasie.
Er wollte das Problem logisch und vernünftig
überdenken. Er begehrte dieses Mädchen; schön, warum
nicht? Sie war anziehend, hübsch, jung, und er hatte so lange
nicht mehr mit einer Frau geschlafen, daß er sich kaum noch daran
erinnern konnte. Aber dieses Mädchen war nicht von der Art,
daß man nur daran dachte, mit ihr zu schlafen. Dieses
Mädchen würde einen Mann lieben, fest und treu, und auf jede
ihr mögliche Weise. Sie war oft wie von Stahl, unberührbar,
und hatte doch auch Humor. Wie hatte sie noch gesagt? ›Passen
Sie auf, daß Sie sich nicht verlaufen…‹ Er lachte
in sich hinein, drehte sich um und schlief ein…
Ein sanfter, aber beständiger Druck
gegen seine Schulter weckte ihn wieder auf. Seine Hand tastete unter
das Kissen und erfaßte den Pistolenknauf, doch da spürte er
auch schon den schwer nennbaren Duft, an den er nun schon so
gewöhnt war, und während er sich erleichtert aufrichtete,
fragte er leise: »Nanu, wer hat sich jetzt in der Tür
geirrt?«
»Es tut mir leid, daß ich Sie störe!
Ich weiß, es ist dumm, aber ich glaube, an der Treppe unten
jemand gehört zu haben!« Ihr Flüstern klang aufgeregt
und angstvoll.
Er schlug die Bettdecke zurück und stand auf.
»Das ist leicht festzustellen«, meinte er. »Ich werde
hinuntergehen und nachschauen!«
Ihr Nachtgewand schimmerte schwach in der Dunkelheit,
als sie zur Tür ging. »Ich werde mir einen Morgenmantel
umwerfen und mit Ihnen gehen!« erklärte sie.
Er zog Hemd und Hosen über und zögerte dann
einen Augenblick, als er die Pistole in der Hand wog. Schließlich
ging er dann aus dem Raum und traf auf das Mädchen, das in der
Dunkelheit an der Türe ihres Zimmers auf ihn wartete. Gemeinsam
schlichen sie vorsichtig zur Treppe und lauschten. Im Haus war es still
wie in einem Grab. Fallon glitt die Hintertreppe hinunter und
öffnete die Küchentür. Der Raum lag leer und still da;
nur der Koks im Herd knisterte schwach. Fallon drehte das Licht an und
erklärte: »Ich werde noch in die anderen Zimmer schauen,
aber es scheint nichts los zu sein. War wohl der Wind!«
Als er zurückkam, hatte sie einen Kessel auf den
Herd gesetzt, und das Wasser kochte. »Alles in Ordnung?«
fragte sie.
Er grinste, nickte und sah auf die Uhr. »Es ist
jetzt genau zehn Minuten nach sechs. Ob dies alles nicht nur ein
Vorwand war, um mich so früh aus dem Bett zu holen?«
Sie lächelte leicht und schüttelte den Kopf.
»Ich glaubte mit Bestimmtheit etwas zu hören. Es muß
Einbildung gewesen sein. Dieses alte Haus ist im Dunkeln voller
Geräusche.«
Fallon steckte sich eine Zigarette an und setzte sich an den
Tisch, wo sie Tee eingoß. Er mußte heftig husten, als
er etwas Rauch in die falsche Kehle bekam. »Schrecklicher
Geschmack«, brachte er dann mühsam heraus.
»Warum rauchen Sie dann?«
Er zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf. »Warum tut man so manches? Warum lebt man?«
Sie hob eine Hand und beschwor ihn in spöttischer
Angst: »Keine Philosophie, bitte! Jedenfalls nicht zu dieser
Tageszeit, am frühen Morgen!«
Vor dem Haus war plötzlich das Klirren von
Flaschen zu hören, und Fallon drehte sich abrupt um, alle Sinne
angespannt. »Was ist das?« entfuhr es ihm.
Sie lächelte. »Keine Aufregung. Es ist nur
der Milchmann. Sie beginnen hier sehr früh auszuliefern.«
Sie stand vom Tisch auf und ging in den Flur.
Fallon hörte sie die Außentür
öffnen. Nur das Geräusch des schweren Regens und der Klang
der Flaschen war zu hören, als sie diese aufnahm und dann die
Tür wieder zuschlug. Langsam kam sie in den Raum zurück, und
er fragte: »Hat der Regen noch nicht aufgehört?«
In ihren Augen war ein abwesender Ausdruck, und sie
runzelte nachdenklich die Stirn, während sie die Flaschen auf den
Tisch stellte. »Ich hätte schwören können, die
Tür verriegelt zu haben«, sagte sie dann ängstlich vor
sich hin.
»Was sagen Sie?« Er richtete sich auf und starrte sie an.
»Die Tür«, wiederholte sie,
»ich glaubte, ich hätte sie gestern abend verriegelt.«
Für einen Augenblick starrte jeder
den anderen an, dann erbleichte sie, und Fallon sprang auf, seinen
Stuhl hinter sich umwerfend, und eilte in den Flur. Zwei Stufen auf
einmal nehmend sprang er die Treppen hinauf, raste über den
Treppenabsatz und weiter die Treppen hinauf, die zu der Mansarde
führten. Dort riß er die Tür auf, daß sie gegen
die Wand schmetterte, und schaltete das Licht
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