Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schrei in der Nacht

Titel: Schrei in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
nicht in der Lage war, Phantasie von Wirklichkeit zu trennen. »Rooney, gehen Sie eigentlich mal zur Kirche oder zu irgendwelchen Treffen der Frauen aus der Gegend? Laden Sie mal Freunde zum Essen ein?«
    Rooney schüttelte den Kopf. »Als Arden noch da war, bin ich mit ihr überallhin gegangen, zur Gruppe, zum Schülertheater, zu den Konzerten von ihrer Band. Aber jetzt nicht mehr.«
    Sie schien in die Realität zurückgefunden zu haben.
    »Ich sollte nicht hier sein. Erich ist dagegen.« Sie blickte Jenny ängstlich an. »Sie erzählen es ihm doch nicht? Und Clyde auch nicht? Versprechen Sie mir bitte, daß Sie nichts sagen.«
    »Ich schweige wie ein Grab.«
    »Sie sind wie Caroline, hübsch und freundlich und zartfühlend. Ich hoffe, daß Ihnen nichts zustößt. Es wäre solch ein Jammer. Caroline hat zuletzt nur noch daran gedacht, wie sie hier wegkommen kann. Sie sagte immer wieder: ›Ich habe einfach das Gefühl, daß etwas Furchtbares geschehen wird, Rooney. Und ich bin so entsetzlich hilflos.‹« Sie stand auf, um zu gehen.
    »Haben Sie keinen Mantel angehabt?« fragte Jenny.
    »Warten Sie einen Moment.« Jenny holte ihren Steppmantel aus dem Wandschrank in der Diele. »Ziehen Sie den an. Sehen Sie, er paßt wie angegossen. Knöpfen Sie ihn auch oben am Hals zu. Es ist kalt draußen.«
    Hatte Erich bei jenem ersten Lunch im Russian Tearoom nicht fast das gleiche zu ihr gesagt? War es wirklich erst knapp zwei Monate her?
    Rooney sah sich unsicher um. »Wenn Sie wollen, helfe ich Ihnen, den Tisch wieder zurückzuschieben, ehe Erich kommt.«
    »Ich habe nicht vor, ihn zurückzuschieben. Er bleibt da, wo er ist.«
    »Caroline hat ihn einmal ans Fenster gerückt, aber John sagte, sie wolle nur, daß die Männer auf der Farm sie angaffen.«
    »Und was hat sie geantwortet?«
    »Nichts. Sie hat nur ihr grünes Cape angezogen und ist nach draußen gegangen und hat sich auf die Verandaschaukel gesetzt. Genau wie auf dem Bild.
    Einmal hat sie mir erzählt, daß sie immer so gerne dort draußen saß und nach Westen geschaut hat, weil sie aus dieser Richtung herkam. Sie hatte schreckliches Heimweh nach ihren Verwandten.«
    »Sind sie denn nie zu Besuch gekommen?«
    »Nein, nie. Aber Caroline hat die Farm trotzdem geliebt. Sie ist in der Stadt aufgewachsen, aber sie sagte immer: ›Die Gegend hier ist so herrlich, Rooney, sie hat so einen wohltuenden Einfluß auf mich !‹«
    »Und dann wollte sie fort?«
    »Irgend etwas ist passiert, und sie sagte, sie müsse gehen.«
    »Was war es?«
    »Ich weiß nicht.« Rooney blickte nach unten. »Der Mantel ist sehr schön. Er gefällt mir.«
    »Behalten Sie ihn, bitte«, sagte Jenny. »Ich habe ihn kaum getragen, seit ich hier bin.«
    »Wenn ich ihn nehme, darf ich den Mädchen dann wirklich die Jumper machen?«
    »Aber natürlich, sie würden sich sehr freuen. Und, Rooney — ich möchte gern Ihre Freundin sein.«
    Jenny stand in der Küchentür und sah der schmächtigen Gestalt nach, die sich, jetzt warm angezogen, gegen den Wind stemmte und langsam in der Ferne verschwand.
16
    Am schlimmsten war das Warten. War Erich böse auf sie? Hatte er sich so sehr auf seine Arbeit konzentriert, daß er sich nicht ablenken lassen wollte, nicht einmal von ihr? Sollte sie es wagen, in den Wald zu gehen und die Hütte zu suchen, damit sie ihn auf andere Gedanken bringen konnte?
    Nein, das durfte sie auf keinen Fall.
    Die Tage kamen ihr endlos vor. Selbst die Kinder wurden unruhig. Wo ist Daddy? fragten sie alle paar Minuten. Erich war in dieser kurzen Zeit ungeheuer wichtig für sie geworden.
    Hoffentlich läßt Kevin uns in Ruhe, betete sie.

    Hoffentlich bleibt er, wo er ist.
    Sie verbrachte ihre Zeit damit, sich um das Haus zu kümmern. Sie nahm sich ein Zimmer nach dem anderen vor und überlegte, wie sie es freundlicher, behaglicher machen könnte, stellte manchmal nur einen Tisch oder einen Sessel um, ließ dann wieder kein Möbelstück an seinem Platz. Elsa half ihr widerwillig, den Rest der schweren Spitzengardinen abzunehmen. »Hören Sie«, sagte Jenny nachdrücklich, »diese Dinger kommen herunter, und ich möchte nichts mehr davon hören, daß mein Mann einverstanden sein muß. Entweder Sie helfen mir, oder eben nicht!«
    Die Farm war nun grau und trostlos. Als noch alles verschneit gewesen war, hatte es idyllisch gewirkt, wie ein Bild jener alten naiven Maler. Wenn erst der Frühling kam, war das saftige Grün der Wiesen, das frische Laub der Bäume sicher herrlich. Aber jetzt

Weitere Kostenlose Bücher