Schrei in der Nacht
Guthrie-Theater einen Anruf. Er sagte, seine geschiedene Frau wolle ihn wegen der Kinder sprechen. Er lieh sich den Wagen eines anderen Schauspielers und fuhr eine halbe Stunde später fort, gegen halb fünf. Er sagte, er werde am nächsten Morgen zurück sein. Das war vor vier Tagen, und er ist seitdem spurlos verschwunden. Das Auto, das er sich geliehen hatte, war erst sechs Wochen alt, und der Mann, dem es gehört, kannte MacPartland erst seit kurzer Zeit.
Sie können sich also vorstellen, daß er sich Sorgen macht. Wollen Sie sagen, Sie haben ihn nicht gebeten, sich mit Ihnen zu treffen?«
»Genau das.«
»Darf ich fragen, weshalb Sie mit Ihrem geschiedenen Mann in Verbindung standen? Wir waren hier alle in dem Glauben, Sie seien verwitwet.«
»Kevin wollte die Mädchen sehen«, sagte Jenny. »Er redete davon, die bisher eingeleiteten Schritte zur Adoption rückgängig zu machen.« Es setzte sie in Erstaunen, wie leblos ihre Stimme klang. Sie sah Kevin vor sich, als stünde er hier im Zimmer: der teure Skipullover, der lässig über die linke Schulter drapierte lange Schal, das gepflegte rostrote Haar, die Gesten, die Posen. War er absichtlich ›verschwunden‹, um sie in Verlegenheit zu bringen? Sie hatte ihn vor Erichs Zorn gewarnt. Hoffte er, ihre Ehe zu zerstören, noch ehe sie eine echte Chance hatte?
»Und was haben Sie ihm gesagt?«
»Daß er uns in Ruhe lassen soll. Ich habe es ihm beide Male gesagt, als ich mich mit ihm getroffen habe und als er hier anrief.«
»Erich, wußten Sie von diesem Zusammentreffen und von dem Anruf am siebten März?«
»Ich war hier, als er anrief. Von der Verabredung habe ich nichts gewußt, aber ich kann es verstehen. Jenny weiß, was ich von Kevin MacPartland halte.«
»Waren Sie am Abend des neunten März zu Haus bei Ihrer Frau?«
»Nein, ich habe in der Hütte geschlafen. Ich malte gerade ein Bild zu Ende.«
»Wußte Ihre Frau, daß Sie die Nacht über in der Hütte bleiben wollten?«
Ein langes Schweigen entstand. Jenny beendete es:
„Natürlich habe ich es gewußt.«
»Was haben Sie an jenem Abend gemacht, Mrs.
Krueger?«
»Ich war sehr müde und ging schlafen, kurz nachdem ich die beiden Mädchen ins Bett gebracht hatte.«
»Haben Sie mit jemandem telefoniert?«
»Nein. Ich bin fast sofort eingeschlafen.«
»Ich verstehe. Und Sie sind ganz sicher, daß Sie Ihren geschiedenen Mann nicht gebeten haben, Sie in Erichs Abwesenheit zu besuchen?«
»Ich habe ihn nicht… Ich würde ihn niemals bitten, hierherzukommen.« Es war, als könnte sie die Gedanken der anderen lesen. Sie glaubten ihr natürlich kein Wort.
Ihr kaum angerührter Teller stand auf der Anrichte.
Erkaltetes Fett bildete einen häßlichen, schartigen Rand um die Bratenscheibe. Die Scheibe war in der Mitte rot.
Sie dachte an Randy, an das Blut, das aus ihm hervorquoll, ehe er in den Rosen zusammenbrach; sie dachte an Kevins rotes Haar.
Jetzt begann sich der Teller zu drehen. Sie brauchte frische Luft. Ihr begann zu schwindeln. Sie schob ihren Stuhl zurück und versuchte aufzustehen. Das Letzte, was sie sah, ehe der Stuhl hinter ihr gegen die Anrichte knallte, war Erichs Gesichtsausdruck — war es Sorge oder Ärger?
Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf dem Sofa im Wohnzimmer. Jemand drückte ihr einen kalten Lappen auf die Stirn. Es fühlte sich gut an. Ihr Kopf tat furchtbar weh. Da war etwas, woran sie auf keinen Fall denken wollte.
Kevin.
Sie schlug die Augen auf. »Alles in Ordnung. Es tut mir leid.«
Mark beugte sich über sie. Sein Gesicht war unendlich besorgt. Und eigenartig tröstend. »Vergessen Sie’s«, sagte er.
»Kann ich etwas für Sie tun, Jenny?« Emilys Stimme hatte einen aufgeregten Unterton. Sie genießt es, dachte Jenny. Sie gehört zu den Menschen, die das Unglück anderer auskosten.
»Liebling!« Erichs Ton war liebevoll und fürsorglich.
Er trat zu ihr und nahm ihre Hände.
»Nicht zu nahe«, warnte Mark. »Sie braucht Luft.«
Ihr wurde langsam klar im Kopf. Sie setzte sich mühsam auf und hörte, wie der Seidenrock dabei leise raschelte. Sie fühlte, wie Mark ihr Kissen hinter den Kopf und den Rücken stopfte.
»Sheriff, fragen Sie bitte, was Sie noch zu fragen haben. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was plötzlich mit mir los war. Ich habe mich die ganzen letzten Tage nicht sehr wohl gefühlt.«
Seine Augen wirkten jetzt größer und glänzender, als seien sie im Blick auf sie eingerastet. »Ich werde es kurz machen, Mrs. Krueger. Sie haben
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