Schrei in der Nacht
noch nicht betreten.
»Wie geht’s, Joe?« fragte sie nervös. Etwas in ihrer Stimme ließ ihn schnell aufblicken. Er sah Erich und wurde knallrot. »Oh, guten Morgen, Mr. Krueger. Ich hab’ nicht gedacht, daß Sie mitkommen …«
»Das scheint mir auch so.« Sein eisiger Tonfall ließ Joe noch tiefer erröten. »Ich wollte sehen, wie die beiden Mädchen auf den Ponys zurechtkommen.«
»Ja, Sir. Ich werde sofort satteln.« Er lief in den Raum mit dem Sattelzeug.
»Redet er dich immer mit Jenny an?« fragte Erich ruhig.
»Es ist meine Schuld«, antwortete sie und fragte sich dann unwillkürlich, wie oft sie das in den letzten Wochen nun schon gesagt hatte.
Joe kam mit dem Sattelzeug zurück. Er sattelte die Pferde, während die Mädchen ungeduldig zappelten.
»Wir nehmen beide eine Longe«, sagte Erich.
»Und Sie, Mrs. Krueger?« fragte Joe. »Glauben Sie, Sie können wieder reiten?«
»Noch nicht, Joe.«
»Du warst nicht reiten?« fragte Erich.
»Nein. Ich hatte Rückenschmerzen.«
»Das hast du mir gar nicht gesagt.«
»Es ist schon viel besser.«
Sie konnte ihm immer noch nicht sagen, daß sie ein Kind erwartete. Fast vier Wochen waren vergangen, seit Sheriff Gunderson gekommen war, und sie hatte seither nichts mehr von ihm gehört.
Bald würde der Frühling seinen Siegeszug antreten.
Die Bäume hatten einen rötlichen Schimmer. Joe hatte ihr gesagt, das sei immer so, ehe sie austrieben. Die ersten grünen Schößlinge hatten den schmutzigbraunen Boden der Felder durchbrochen. Die Küken verließen den Hühnerstall und erkundeten die unmittelbare Umgebung. Hinter dem Kornspeicher und der Heuraufe und dem Pferdestall krähten Hähne um die Wette. Eine der Hennen hatte sich in einer Ecke des Stalls ein Nest gemacht und brütete dort ihre Eier aus.
»Seit wann hast du Rückenschmerzen, Jenny?
Möchtest du zu einem Arzt?« Sein Ton war liebevoll und besorgt.
»Nein, vielleicht gehen sie von alleine weg. Ich hab’
sie schon früher mal gehabt.« Das stimmte, denn auch bei ihren anderen Schwangerschaften hatte ihr oft der Rücken weh getan.
Jemand holte sie ein. Es war Mark. Sie hatte ihn seit der Dinnerparty nicht mehr gesehen.
»Guten Morgen, ihr zwei«, sagte Mark. Sein Benehmen war vollkommen ungezwungen. Nichts deutete darauf hin, daß er daran dachte, was an jenem Abend geschehen war.
»Bleib doch eine Minute und schau dir an, wie meine Mädchen reiten«, forderte Erich ihn auf.
Tina und Beth hatten in den letzten Wochen gute Fortschritte beim Reiten gemacht. Jenny lächelte, als sie ihre strahlenden Gesichter sah, während sie sich gerade hinsetzten und die Zügel hielten, ohne nach links und rechts zu schauen.
»Sie machen sich gut«, bemerkte Mark. »Sie werden einmal ausgezeichnete Reiterinnen werden.«
»Sie lieben die Tiere.«
Erich ließ sie allein, um eines der Ponys zu führen.
»Ich habe ihn noch nie so glücklich gesehen. Er hat neulich abends bei den Hanovers Fotos von ihnen gezeigt. Emily hat sehr bedauert, daß Sie nicht mitkommen konnten.«
»Nicht mitkommen konnten!« wiederholte Jenny.
»Wohin konnte ich nicht mitkommen!«
»Zu der Party bei den Hanovers. Erich sagte, Sie fühlten sich zur Zeit nicht wohl. Sind Sie schon beim Arzt gewesen? Ich hörte vorhin, wie Sie von Rückenschmerzen sprachen. Und die Ohnmacht damals nach dem Essen, Jenny! War das ungewöhnlich, oder haben Sie früher schon mal Schwächeanfälle gehabt?«
»Nein, ich falle nie in Ohnmacht. Und ich gehe bald zu einem Arzt.«
Sie sah nicht, daß Mark sie prüfend betrachtete, aber sie spürte es. Aus irgendeinem Grund war es ihr gleichgültig. Welche Folgerung er auch aus Kevins mutmaßlichem Besuch und ihrem angeblichen Witwenstatus gezogen haben mochte, er hatte sie offenbar nicht verurteilt.
Sollte sie ihm sagen, daß sie keine Ahnung von Emilys Party gehabt hatte? Was würde es nützen. Erich hat uns nur deshalb allein gelassen, weil er wußte, daß Mark wahrscheinlich auf die Party zu sprechen kommen würde, dachte sie. Er wollte, daß ich es erfahre. Warum?
War es einfach seine Art, sie zu verletzen, sie zu bestrafen, weil nun über Kruegers getratscht wurde?
Wieviel wußten die Leute in der Gegend? Emily hatte ihrer Familie bestimmt von dem Besuch des Sheriffs erzählt.
Wenn Erich der Meinung war, die Leute hier dächten, er hätte einen Fehler gemacht, und sie hätten Mitleid mit ihm, war er sicher außer sich vor Zorn. Sie dachte daran, wie er in Rage gekommen war, als Elsa
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