Schrei in der Nacht
wollen.«
Ehe Jenny antworten konnte, fühlte sie, wie Erich sie um die Taille faßte. »Hätten wir eine acht Wochen lange Kreuzfahrt gemacht, dann hätte kein Mensch etwas dabei gefunden. Aber jetzt ist ganz Granite Place sauer, nur weil wir unsere Flitterwochen lieber ungestört zu Hause verbringen. Das sagt Jenny jedenfalls.«
Das habe ich nie gesagt, dachte Jenny mit einem Gefühl der Hilflosigkeit, während sie beobachtete, wie Emilys Augen schmaler wurden.
Bei den Drinks wartete Mark, bis Erich und Emily sich angeregt über irgend etwas unterhielten, ehe er bemerkte:
»Sie sehen blaß aus, Jenny. Ist alles in Ordnung?«
»O ja!« Sie versuchte, aufrichtig zu klingen.
»Joe hat mir die Sache mit dem Hund erzählt. Sie scheinen ganz außer sich gewesen zu sein.«
»Ich nehme an, ich muß lernen, daß hier vieles anders ist. In New York vergießt man heiße Tränen, wenn man nur ein Bild von einem herrenlosen Tier sieht, das eingeschläfert werden soll. Dann meldet sich prompt jemand und nimmt es, und alle atmen erleichtert auf.«
Emily schaute sich im Zimmer um. »Sie haben nichts verändert, stimmt’s?« fragte sie. »Ich weiß nicht, ob Erich es erwähnt hat, aber ich bin Innenarchitektin, und wenn ich Sie wäre, würde ich diese Gardinen noch heute abnehmen. Sie sind zwar sehr schön und kostbar, aber die Fenster wirken überladen, und vor allem haben Sie überhaupt nichts von dem herrlichen Blick.«
Jenny wußte, daß Erich ihr die Antwort abnehmen würde. »Offensichtlich ist Jen anderer Meinung« sagte er, ohne zu zögern. Sein Ton und sein Lächeln waren nachsichtig.
Erich, das ist unfair, dachte sie wütend. Sollte sie ihm widersprechen? Seit vier Generationen die erste Krueger, die sich erlaubt hat, ihrem Mann in Gegenwart eines Angestellten ein Szene zu machen. Wie wäre es mit einer Szene in Gegenwart von Freunden? Was sagte Emily gerade?
»… und ich finde nun mal keine Ruhe, wenn ich nicht dauernd etwas umstellen kann, aber vielleicht sind Sie da anders. Soweit ich weiß, sind Sie auch Künstlerin?«
Die Gelegenheit war verpaßt. Es war zu spät, um den Eindruck zu korrigieren, den Erich erweckt hatte. »Nein, das heißt, ich bin keine ausübende Künstlerin«, sagte sie.
»Ich habe Kunst studiert und dann in einer Galerie in Manhattan gearbeitet. Dort haben wir uns auch kennengelernt.«
»Ja, das habe ich gehört. Ihre Blitzromanze war hier tagelang Gesprächsstoff Nummer eins. Wie finden Sie das Leben auf dem Land im Vergleich zu New York?«
Jenny wählte die Worte sehr sorgfältig. Erich hatte den Anschein erweckt, sie blicke auf die Einheimischen herab, und das mußte sie unbedingt korrigieren. »Ich vermisse natürlich meine Freunde. Mir fehlt es, Leute zufällig zu treffen, die mich kennen und mir sagen, wie groß die Kinder doch geworden sind. Ich mag Menschen und finde an sich schnell Anschluß. Und —« sie hielt inne und blickte zu Erich. »Und ich hoffe, daß ich eine aktive Rolle in der Gemeinde spielen kann, wenn unsere Flitterwochen offiziell vorbei sind.«
»Das kannst du deiner Mutter berichten, Emily«, schlug Mark vor.
Danke für die Hilfe, dachte Jenny. Mark wußte, worum es ihr ging.
Emily lachte, aber es klang gekünstelt. »Wie ich höre, haben Sie wenigstens einen Bekannten, mit dem Sie ausgehen können.«
Sie mußte auf das Zusammentreffen mit Kevin anspielen. Die Frau aus der Kirche hatte getratscht. Sie spürte Erichs fragenden Blick und vermied es, ihn zu erwidern.
Sie murmelte schnell, sie müsse nach dem Essen sehen, und ging in die Küche. Ihre Hände zitterten so heftig, daß sie kaum die Bratpfanne aus dem Herd heben konnte. Wenn Emily nun mit ihren Andeutungen fortfuhr? Emily hielt sie für eine Witwe; wenn sie jetzt die Wahrheit sagte, würde sie Erich als Lügner hinstellen. Und Mark? Das Thema war nicht zur Sprache gekommen, aber er glaubte zweifellos auch, daß ihr erster Mann gestorben sei.
Irgendwie schaffte sie es, die einzelnen Speisen in Servierschüsseln zu tun und auf den Tisch zu stellen. Sie zündete die Kerzen an und bat zu Tisch. Ich bin wenigsten eine gute Köchin, überlegte sie. Das kann Emily ihrer Mutter ruhig erzählen.
Erich tranchierte den Schmorbraten. »Einer von unseren eigenen Stieren« sagte er stolz. »Bist du sicher, daß dich das nicht abstößt. Jenny?«
Er zog sie auf. Sie durfte nicht überreagieren. Die beiden Gäste schienen nicht hinzuhören. »Denk nach Jenny«, fuhr er in demselben scherzhaften Ton
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