Schrei in Flammen
Katrine. Eine Tür wurde geöffnet, die rostigen Angeln gaben einen klagenden Laut von sich. Der Mann legte sie auf den Boden, stöhnte und entfernte sich ein paar Schritte. Dann ging die Tür unter erneutem Protestgeschrei der Angeln zu, und Katrine hörte, wie die Schritte sich über die Metalltreppe nach oben entfernten.
Anschließend war es still.
Kompakt und still.
Katrine versuchte, den Raum zu erspüren.
Alles war dunkel und roch faulig.
Sie bewegte sich vorsichtig hin und her, wobei ihr Schuh über den Betonboden schabte.
Danach zu urteilen, wie die Geräusche von den Wänden widerhallten, schien es sich um einen ziemlich kleinen Raum zu handeln. Die Töne waren dumpf, verdichtet.
Es war feucht, und sie spürte die Kälte, die aus dem Boden aufstieg. Vereinzeltes Tropfen war zu hören. Gab es irgendwo Wasser? Ein Becken? Eine Wanne?
Katrine hatte keine Ahnung, wo sie war. Genauso wenig wusste sie, wie viel Zeit vergangen war, seit sie ausgeknockt worden war. Als der Mann sie aus dem Boot getragen hatte, war es dunkel gewesen. Aber ob sie eine halbe oder mehrere Stunden auf dem Wasser unterwegs gewesen war, konnte sie überhaupt nicht sagen.
Wer ist der Mann? Christian?
Er klang nicht wie Christian. Fühlte sich nicht so an. Dieser Mann war größer.
Hellberg
. Ihr wurde eiskalt. War das Hellberg? Die Vorstellung, sich in seiner Gewalt zu befinden, war entschieden beängstigender.
Was war in Christians Haus passiert? Und wer war die Frau, die dort geschrien hatte?
Jens saß auf Simones Bett und hatte den Arm um sie gelegt. Sie hatten gefrühstückt, und sie kuschelte sich an ihn, als er ihr in kurzen Zügen erzählte, was in der Nacht passiert war, dass eine Kollegin von ihm, Katrine, verschwunden war und dass er sich schreckliche Sorgen um sie machte.
»Ist das die mit den roten Haaren? Die dabei war, als du mich und Fatima zurück in die Schule gefahren hast? Als wir geschwänzt haben?«
Jens nickte. Er hatte völlig vergessen, dass die beiden sich im Januar, kurz nachdem Katrine bei ihnen angefangen hatte, schon mal gesehen hatten.
»Die sah süß aus«, sagte Simone.
Er kriegte einen Kloß im Hals. »Hm«, seine Stimme wurde ganz belegt. »Das ist sie, Simone, das ist sie auch.«
Simone sah ihn von der Seite an.
*
Jens und Lars klammerten sich beide an ihre Kaffeebecher. Es war neun Uhr. Jens war direkt aus dem Krankenhaus ins Präsidium gefahren. Lars Sønderstrøm hatte in einem der Wachräume im Keller ein paar Stunden Schlaf bekommen. Beide sahen aus wie die letzten Gäste eines langen Festes. Sie hatten abgemacht, sich kurz zu treffen, ehe Lars zum Schlafen nach Hause fuhr. Simone hatte akzeptiert, dass Jens ein paar Stunden ins Präsidium ging. Jens’ Eltern waren um acht Uhr gekommen und hatten eine Tasche voller Filme, Schokolade, etwas zum Anziehen für Simone und ihren Computer mitgebracht. Später wollten Fatima, Emma und Camillo sich dann mit dem Besuch abwechseln.
»Die Hundepatrouille hat bei Letofts Haus eine Spur von Katrine aufgenommen. Wir haben was von ihren Sachen aus ihrer Wohnung geholt. Aber die Spur endet unten am Wasser.«
»Am Wasser?«, fragte Jens erstaunt.
»Ja. Jetzt werden Taucher eingesetzt«, sagte Lars.
»Nein …« Jens fasste sich an den Kopf. Ihm war schwindelig.
»Um fünf Uhr haben wir eine Suchmeldung an alle Polizeikreise rausgeschickt, mit Personenbeschreibung und Foto. Sie haben es heute Morgen landesweit in den Medien gebracht.«
»Gibt es schon Reaktionen?«
»Bis jetzt nicht.«
»Was ist mit ihrem Wagen? Noch immer keine Spur davon?«
»Nein, leider.«
»Verdammt nochmal!«, rief Jens, stand auf und ging im Kreis. »Entschuldige, ich muss nur … Fahr du nach Hause und schlaf ein bisschen.«
Lars nickte. »Ich komme später dann noch mal vorbei.«
Sie verabschiedeten sich, und Jens ging in sein Büro.
Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und starrte auf Katrines leeren Platz. Warum war sie nach Rungsted gefahren? Sie hatte das in ihrer Nachricht nicht präzisiert. Und was war mit diesen Tagesberichten? Er musste versuchen, sich in ihre Gedankengänge einzuarbeiten. Vielleicht brachte ihn das zu ihr.
Dann fiel sein Blick auf die Tafel. Dort hing eine Karte von Rungsted und Hørsholm. Jens stand auf und sah sich die Markierungsstifte an. Gestern waren drei Adressen in Rungsted markiert gewesen, die drei Häuser, in die Christian Letoft und Jim Hellberg eingebrochen waren. Jetzt steckten dort vier Markierungen. Die vierte
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