Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
Das junge Team hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, bei jeder Bestellung vor Freude einmal an die Wand zu stempeln. Am Anfang zehnmal am Tag, dann immer häufiger. Dieses Wandbild beginnender Marktbedeutung galt es nun unsichtbar zu machen, bevor der Vermieter das Büro abnahm. »Leider deckte die Farbe nicht richtig«, erzählt die Assistentin der Geschäftsführung. Doch die Zeit drängte und so wendete Appel den Trick an, den auch jede Studenten-WG beim Auszug versucht: »Ich habe mich mit dem Vermieter am Abend verabredet, als es schon langsam dunkel wurde. Da fiel es dann nicht auf, dass die Stempelabdrücke noch leicht durchschimmerten.«
Währenddessen hatten die anderen Mitarbeiter bereits begonnen, sich etwa 300 Meter weiter in die Zinnowitzer Straße einzurichten. Zunächst bezog die Firma ein Stockwerk und das Dachgeschoss, anfangs etwa 400 Quadratmeter, »und dann sind wir im Gebäude gewachsen«, so Schneider. Bald kam noch ein Haus schräg gegenüber dazu, doch das Wachstum sprengte weiterhin alle (Raum-)Pläne. Neben der auch hier bald herrschenden Enge erinnern sich jene, die damals dabei waren, noch an das Übermaß von Sonne und Wärme hinter den riesigen Glasscheiben. Zwar war vor der Fensterfront ein textiler Sonnenschutz angebracht, doch sobald Wind aufkam, rollte der sich zusammen. Und der Sommer 2009 soll in Berlin ein ebenso sonniger wie windiger gewesen sein. Der Anblick des zweiten Zalando-Hauptquartiers muss schon ziemlich skurril gewesen sein, und wie ein Rückgriff auf die Flip Flop-Kultur gewirkt haben: Um sich vor der Helligkeit zu schützen, die die Schrift auf den Computerbildschirmen unlesbar zu machen drohte, standen im Büro Sonnenschirme. Mitarbeiter saßen mit Sonnenbrillen vor den Rechnern, die Füße in Eimern mit Eiswasser. Zalando – arbeiten, wie andere Urlaub machen …
Die Büroeinrichtung kam weitgehend von Ikea. In den frühen Tagen des Unternehmens schraubte Nicole Appel die Tische für die neuen Kollegen noch selber zusammen. »Aber irgendwann wurden es zu viele. Die neuen Kollegen mussten also selbst zum Inbusschlüssel greifen«, sagt die Berlinerin.
Jobs bei Zalando: Nicole Appel
Die Frau mit der Mitarbeiter-Nummer 1
28, Assistentin der Geschäftsführung
Die erste fest angestellte Mitarbeiterin von Zalando kam aus einer anderen Welt. Aus einer Art kulturellem Gegenuniversum. Denn bevor Nicole Appel ihren ersten Arbeitstag bei dem kaum von bewährten Strukturen belasteten, oft vom Improvisieren lebenden, sich selber suchenden, aber stürmisch wachsenden Start-up in der Berliner Torstraße absolvierte, war sie Auszubildende bei der Deutschen Rentenversicherung in der Hauptstadt gewesen. Einem Hort des geregelten Dienstablaufs. Doch irgendwie war das auf Dauer nicht das Richtige für die blonde Berlinerin. Und so bewarb sich die gerade ausgelernte Verwaltungsfachangestellte auf diese Onlineanzeige eines »jungen Start-up-Unternehmens im Fashionbereich«, das eine Assistentin der Geschäftsführung suchte. »Das Gespräch mit Robert und David war supernett und kurze Zeit später habe ich angefangen«. Im September 2008 war das.
Zalandos Vollzeit-Mitarbeiterin Nummer eins war also eine Frau aus einer Behörde. Man mag es kaum glauben, wenn man zum ersten Mal in dieses wuselige Unternehmen kommt, das eher der Außenstelle einer Uni als einem Amt ähnelt. In dem es die Hierarchien selbstverständlich gibt, sie aber nicht gemäß hoheitlichem Dienstgradwesen nach außen getragen werden.
Man sieht es schon daran, dass Nicole Appel und ihre Kolleginnen mit den drei Firmenchefs in einem Großraum zusammen sitzen – wenn auch in einem relativ kleinem Großraum. Die der normalen Mitarbeiter gleichen dagegen eher Turnhallen. Klassische Chefbüros mit Vorzimmer sind nicht vorgesehen im deutschen Vorzeigeunternehmen der Web 2.0-Ökonomie. Und auch kein »Sie«. »Nicci« duzt ihre Chefs wie eigentlich alle Kollegen. »Die lockere Atmosphäre gefällt mir einfach.«
Fast alles hat Nicole Appel bei Zalando schon gemacht, damit der Schuhverkauf ins Laufen kam. Die Umzüge organisiert, die Büros an die Vermieter zurückgegeben, in der Frühphase Schreibtische und immer mehr Schreibtische für immer mehr Mitarbeiter bei Ikea gekauft und am Anfang auch noch aufgebaut. Bei den Recherchen für dieses Buch kamen die Geschäftsführer bisweilen ins Schleudern, wenn es um Daten aus der ganz stürmischen Sturm- und Drangphase des Unternehmens ging. Der Standardhinweis war
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