Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
besten. »Es war ja ein völlig chaotischer Werbespot. Aber so haben sich der Postbote und sein Schrei, die eigentlich ein Zufallsprodukt waren, als wesentliches Element in unsere Markenkommunikation eingeschlichen«, fasst Gentz zusammen. ( http://www.youtube.com/watch?v=NJuFN_TUedw )
Dieser Schrei und dieser verdutzte Postbote, das ist seither das, was vielen Menschen als Erstes einfällt, wenn sie den Firmennamen Zalando hören. Den Logistikunternehmen bringt der Zalando- und der gesamte Onlinehandels-Boom nicht nur neue Aufträge und gesicherte Wachstumsraten für die nächsten Jahre. Er hat auch den Alltag manches DHL-, Hermes- oder DPD-Fahrers verändert, den Job vielleicht sogar aufgewertet. Es haben sich schon Paketboten bei Zalando dafür bedankt, dass die Mädels plötzlich mit ihnen zu flirten beginnen. Andere dagegen sind eher genervt, weil Mädchen und junge Frauen sich einen Spaß daraus machen, zu schreien, wenn der DHL-Mann eines dieser Pakete bringt. Nach der dritten Schreiattacke am Morgen findet das allerdings nicht mehr jeder Paketbote lustig. Doch zeigen diese Phänomene eindrucksvoll, wie die schräge Werbekampagne bei der Zielgruppe eingeschlagen hat, zumal »Schrei vor Glück« in die Alltagssprache einzuziehen beginnt.
Dass Zalando als junges, längst nicht profitables Unternehmen neben der Werbung im Web auch so häufig im teuren Fernsehen vertreten ist, schürt bei den Kritikern den Verdacht: Das Unternehmen soll schnell seinen Umsatz aufblasen, damit die Investoren ihre Anteile bald zu einem hohen Preis verkaufen können. Viele Millionen für die Werbung auszugeben gilt bei der Verfolgung dieses Ziels als gute Investition. Werbeexperten haben ausgerechnet, dass Zalando zeitweise rund 90 Millionen Euro pro Jahr in die Fernsehwerbung gesteckt hätte. Das Unternehmen äußert sich dazu nicht.
Die Zahlen dürften zu hoch gegriffen sein. Denn mutmaßlich sind die Rabatte nicht vollständig eingerechnet worden, die Zalando ausgehandelt hatte. Im Jahr 2009 – die Weltfinanzkrise tobte gerade – waren die Sender zu Zugeständnissen bei den Werbekonditionen bereit. Das junge Start-up aus Berlin schmiedete eine ungewöhnliche Allianz mit der ProSiebenSat1-Gruppe, deren Sendungen besonders gern von typischen Zalando-Kundinnen geschaut werden: Dabei bekommt der Onlinehändler günstige Sonderkonditionen für seine Reklame und räumt im Gegenzug der Sendergruppe eine Umsatzbeteiligung ein. Die genauen Bedingungen dieses Deals sind nicht bekannt. Zalando jedenfalls profitiert bis heute davon, auch wenn die Fernsehpräsenz inzwischen zurückgefahren wurde.
Mit Energie ins Umspannwerk – und in die Schweiz
Zalandos Anfangserfolge und der enorme Umsatzschub verschafften dem jungen Unternehmen Mitte 2010 – kaum ein halbes Jahr nach dem Einstieg von Tengelmann Ventures – den nächsten Geldgeber: Die Samwers hatten die schwedische Investmentbank Kinnevik für Zalando interessiert, und die sollte in den nächsten Jahre in mehreren Schritten zum größten Investor des Unternehmens werden. »Die Leute bei Kinnevik haben sehr schnell begriffen, dass in Zalando sehr großes Potenzial steckt«, sagt Ritter, »und auch die Zusammenarbeit mit ihnen ist sehr angenehm. Das entspricht überhaupt nicht dem Bild, das es bei vielen von Großinvestoren gibt.«
Am Ende dieses stürmischen Jahres 2010 saß Zalando bereits in der dritten Konzernzentrale seiner jungen Geschichte. Weil auch die Gebäude in der Zinnowitzer Straße zu eng geworden waren, siedelte das Unternehmen mit seinen 500 Mitarbeitern nach Prenzlauer Berg um, in einen dunkelroten Backstein-Komplex, der einmal ein Umspannwerk für Elektrizität gewesen war. Das war nun die perfekte Location für ein Start-up-Unternehmen im virtuellen Handel. Die Kombination aus sauberen, hellen Großraumbüros mit schicken Apple-Computern und Schalen voller Obst für alle Mitarbeiter und der über 100 Jahre alten, bewusst rustikal belassenen Industriearchitektur in Fluren oder Treppenhäusern entsprach genau dem Wohlfühl-Klischee der jungen Web 2.0-Arbeiter. Junge Frauen und Männer aus aller Herren Länder arbeiten hier, einer sogar aus dem Vatikanstaat, jeder mit einem Fähnchen seines Heimatlandes auf dem Schreibtisch. Neben Deutsch spricht man hier vor allem Englisch – und zwar Englisch mit allen möglichen europäischen und außereuropäischen Akzenten.
Der Umzug an den neuen Standort lief wie so oft trotz aller Vorplanung letztlich doch stark
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