Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
direkt beim Paketboten oder auf dem Zollamt. Zudem kostet der Behördendurchlauf viel Zeit auf dem Weg zum Kunden – das sind genau die Bedingungen, die einen grenzüberschreitenden Onlinehandel töten. Und tatsächlich vermochten es die eidgenössischen Zollbarrieren jahrelang zu verhindern, dass Ausländer nennenswerte Stücke vom großen Schweizer E-Commerce-Kuchen bekamen. Nicht einmal Amazon spielte in der Schweiz eine bedeutende Rolle. Die Franken blieben somit im Land, das Geschäft machten die Onlinehändler mit dem »ch« am Ende ihrer Adresse.
Es waren sehr viele Franken – nach Schätzungen bis zu zehn Milliarden im Jahr –, die die Schweizer im Internet ausgaben. Die Online-Kauf-Quote ist hier höher als die in den meisten anderen europäischen Ländern. Sehr viele Schweizer sind zudem mit dem Smartphone unterwegs, einem Gerät, dem beim E-Commerce in Zukunft eine immer größere Rolle zukommen dürfte. Zudem gelten die Schweizer in ihrer Mehrheit auch noch als recht wohlhabend. Unter all diesen Aspekten passt das kleine Land nun wieder prima ins Beuteschema eines jeden expandierenden europäischen Onlinehändlers. Wenn nur diese hohen Zollschutzwälle nicht wären.
Bei Zalando beschlossen sie im Juni 2011 mit jugendlichem Optimismus, diese Mauern irgendwie zu überwinden, die sie von einem hoch lukrativen Markt noch trennten. Patrick Rief, ein junger Absolvent der Hochschule St. Gallen mit Schweizer Pass, sollte den weiß-orangen Paketen einen schnellen Zugang in sein Heimatland verschaffen. »Eine Lieferung innerhalb von drei Wochen war damals kein Problem. Aber das war natürlich überhaupt nicht akzeptabel. Die Zustellung innerhalb von drei bis fünf Tagen aus Deutschland heraus war praktisch unmöglich«, sagt Rief. Während die Zalando-Logistiker üblicherweise einfach so viele Pakete – sorgfältig gescannt – in den Lastwagen schieben, bis er voll ist, war das bei Schweiz-Lieferungen sehr viel komplizierter: »Jedes Paket erhielt eine Zollnummer, nachdem es gewogen worden war. Es musste dokumentiert werden, in welchem Lkw es transportiert wird und wann dieser über die Grenze fährt.« Schlechtere Voraussetzungen für eine schnelle und kostengünstige Lieferung konnte es kaum geben.
Allerdings begannen die Schwierigkeiten schon im Zollamt in Berlin-Marzahn: Ein Handelsunternehmen, das in riesigen Mengen Schuhe und Mode an Einzelkunden in die Schweiz schicken will – das hatten sie in Marzahn noch nicht. Ausgerechnet ein Traditionsunternehmen wie die Schweizerische Post jedoch erwies sich als Verbündeter der jungen Internetkrieger von Zalando gegen das jahrhundertealte Grenzregime. »Die Schweizer Post hat sehr schnell erkannt, dass der grenzüberschreitende Onlinehandel für sie riesige Wachstumschancen bietet«, sagt Rief. Sogar die Zollbehörden gaben sich schließlich aufgeschlossen. Nach monatelangen Verhandlungen mit Behörden und Logistikpartnern entwickelte Zalando ein System, das für den Kunden bequem und günstig ist: Der Lkw fährt als eine Art Black Box abends im Auslieferungslager in der Nähe von Berlin los, bei der Zollverwaltung an der Grenze erledigt Zalando die Formalitäten für die gesamte Ladung. Fertig verzollt erfolgt dann die Auslieferung an die Schweizer Kunden »30 bis 36 Stunden, nachdem die Ware das Logistikzentrum in Brieselang verlassen hat. Es ist für uns die aufwändigere, aber für den Kunden die bequemere Art«, sagt Riet. Ein ähnliches System installierte Zalando 2012 dann auch in Norwegen, das ebenfalls nicht zur EU gehört und für internationale Onlinehändler ein schwieriges Pflaster ist.
Dem Einzelhandel der neuesten Generation kommt in der Schweiz ausgerechnet eine jahrhundertealte Besonderheit entgegen: der Milchkasten. Er befindet sich unterhalb des normalen Briefkastens und bot einst, oftmals abschließbar, Platz für die Milchflaschen. Jetzt kann ihn der Postbote prima zum Hinterlassen des Schuhkartons nutzen, wenn der Adressat nicht zu Hause ist. Bei Retouren geht es umgekehrt: Der Kunde hinterlässt das Paket im Milchkasten, der Postmann nimmt es wieder mit. »Das ist die zur Zeit bestmögliche Lösung für uns«, freut sich Rief. Dummerweise hat längst nicht jeder Schweizer einen Milchkasten.
Die Schweizerische Post arbeitet sogar an neuen Angeboten: Der Kunde kann eine SMS bekommen, in der ihm das Zeitfenster genannt wird, in dem sein Paket eintreffen wird. Sogar die Paketzustellung am Samstag wird erwogen, was es bisher in der
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