Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern (German Edition)
erfolglose – Lebensmittelkette A&P betrieben und besitzen dort eine Ranch. Karl-Erivan Haub ist in den USA geboren und trägt gern eine US-Flagge als Anstecker am Revers. Sein Bruder investiert für die Familie in den Vereinigten Staaten in junge Unternehmen. Folglich ist Haub häufig in den USA unterwegs – dem Land, das Europa in Entwicklungen wie dem Internet immer ein paar Jahre voraus ist.
»In den USA konnte man 2009 schon überall Zappos sehen, den Online-Schuhhändler. Bei den Sicherheitskontrollen am Flughafen etwa, wo alle Fluggäste ihre Schuhe ausziehen mussten, waren da immer diese Zappos-Logos in den Plastikwannen«, erinnert sich Haub. »Es schien also eine ganze Menge Leute zu geben, die bereit waren, ihre Schuhe im Internet zu kaufen. Ohne diese eigene Anschauung hätten wir die Bedeutung und die Chancen, die dieser Markt bietet, vielleicht auch nicht so wahrgenommen.« Dass er dies wahrgenommen hat, darüber ist er längst heilfroh: »Am Anfang war es für uns nur so eine Idee: Warum sollten wir es nicht mal probieren, mit überschaubarem Risiko, als Beimischung? Inzwischen sind wir der festen Überzeugung, dass man als Retailer unbedingt dabei sein muss beim Onlinehandel«, sagt Haub im Rückblick.
Auch andere klassische Händler hatte Samwer als mögliche Investoren angesprochen – ohne Erfolg. »Sie setzen nur auf ein Pferd, auf ihr eigenes Pferd. Sie denken: Ich bin Händler, ich kenne das Geschäft seit 30 Jahren, vielleicht schon in der dritten Generation. Das mit dem E-Commerce ist doch nichts anderes als ein Laden oder ein Versandhausgeschäft«, ereifert sich Samwer noch im Frühjahr 2013 mit einer Mischung aus Ärger und Unverständnis bei Tengelmanns e-day.
Der Ort für derlei Reflexionen über Vergangenheit und Zukunft des Handels war exzellent gewählt: das »Technikum« in der Tengelmann-Zentrale in Mülheim. Haub hatte eine frühere Lagerhalle von Plus komplett renovieren lassen: Die eine Hälfte dient jetzt als Veranstaltungszentrum – hier hielt Samwer seinen Vortrag –, in der anderen parkt Haubs Oldtimersammlung. Mehr als zwei Dutzend restaurierte Dienst- und Privatwagen, die alle irgendwie mit der Geschichte des Hauses Tengelmann zu tun haben, dazu auf der Empore Maschinen aus der längst vergangenen Ära als Schokoladenproduzent unter dem Logo der Marke »Wissoll«. Hingucker aus der Firmenvergangenheit also und auf der anderen Seite das Diskussionsforum für die Frage, was wohl jetzt kommen mag für ein Handelsunternehmen in Familienhand.
Oliver Samwer – stets ein Freund des »Groß Denkens« – referierte nebenan gleich über die Zukunft des gesamten Konsumgeschehens weltweit. Dass er es tat, war eine Ausnahme. Teils aus Dankbarkeit, teils auch zwecks Akquisition weiterer Investoren-Millionen redete Samwer, der sonst selten öffentlich auftritt, beim e-day. Auf diesem Workshop zum Onlinehandel zog er gegen jene vom Leder, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt hätten, und erklärte eine Stunde lang herrlich undiplomatisch, unmissverständlich und politisch unkorrekt seine Sicht der Dinge. Und nach der sind 80 Prozent der Einzelhändler von heute nicht mehr zukunftsfähig angesichts des Online-Booms.
Binnen kurzem war anschließend in der Community seine drastische Aufteilung der künftigen Handelswelt in glänzende Gewinner und jämmerliche Verlierer in der Branche legendär – obwohl sie nicht einmal 250 Zuhörer live erlebt hatten und es davon im Netz bisher keinen Mitschnitt gibt. Wenige Berichte in Zeitungen oder auf Start-up-Websites hatten gereicht. Ich gehörte zu den Zuhörern dieses spektakulären Blicks in die Glaskugel des Einkaufens. Und weil Samwer bei aller Polarisierung und Übertreibung im Kern viel Treffendes oder zumindest Bedenkenswertes gesagt hat, folgt im Anschluss an dieses Kapitel eine ausführliche Darstellung der Samwer-Show.
Karl-Erivan Haub und der alte Handel
Die jungen Frauen und Männer drängen sich um die Stehtische in Tengelmanns Technikum, probieren die neuesten Produkte der Kette Coffee Circle, an der das Unternehmen beteiligt ist, und plaudern. Die meisten kennen sich, die Start-up-Community ist weitgehend unter sich. Ergänzt allerdings durch einige Vertreter der alten Wirtschaftswelt, etwa durch Douglas-Chef Henning Kreke. Auch er gibt sich heute locker, hat auf die Krawatte verzichtet, nicht aber auf das Sakko. Viele Besucher jedoch tragen keines, sondern Pullover. So sieht man sie auch zumeist in der Zalando-Zentrale
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