Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern
Modehandel im Internet könnte Potenzial haben«, sagt
Meermann zu seinen Beweggründen, in das junge Unternehmen seiner früheren
Studienfreunde einzusteigen. Drei Jahre lang blieb er, dann wechselte er zum
anerkannten Modehändler P & C, um dessen jungem Onlinegeschäft auf die
Beine zu helfen.
Dabei sah sich der BCG-Berater durchaus nicht als
Marketingexperte: »Das Spezialwissen musste ich mir in den ersten Monaten
nachts anlesen. Ich hatte nun mal den Anspruch, als Marketing-Chef alles bis
ins Letzte in meinem Bereich zu verstehen. Und das war auch der Anspruch von
Rocket Internet.«
Diese Art der Mitarbeiterrekrutierung setzte ein
Schneeballsystem in Bewegung: Die Kumpels von der Uni aktivierten ihre eigenen
Netzwerke, um Freunde und Bekannte zu Zalando zu holen. Neben diesen
persönlichen Bekanntschaften, dem hoch attraktiven Standort Berlin, der
bisherigen Firmenstory und den hochfliegenden Plänen lockte die Chance, an
etwas möglicherweise Außergewöhnlichem mitwirken zu können. Viele ließen dafür
vermeintlich sicherere Führungsjobs sausen. Zahlreiche Praktikanten aus der
Frühzeit Zalandos oder gar Fliptops kamen zudem zum Unternehmen zurück, als sie
ihr Studium beendet hatten, und machten hier schnell Karriere. Wegen dieses
quasi privaten Rekrutierungssystems hatten die großen Headhunter-Unternehmen
lange Zeit kaum eine Chance, vom Wachstum Zalandos zu profitieren. Die Aufträge
kamen erst später und dann vor allem für typische Modejobs, die direkt mit der
Ware und mit den Kollektionen zu tun hatten. Denn in dieser Disziplin hatte die
WHU wenig qualifiziertes Personal zu bieten. »Uns war klar, dass wir mit
unserem BWL-Hintergrund nicht auf Anhieb die Experten für Schuhe oder Mode sein
würden«, so Schneider. Die Mischung aus zahlengesteuerten Jungmanagern und
erfahrenen – älteren – Praktikern aus der Fashionbranche sei eine Grundlage für
den Erfolg gewesen.
Das Personal der – immer noch sehr überschaubaren –
Einkaufsabteilung war fortan mindestens ausgelastet, zumeist jedoch überlastet.
Denn 2010 war das große Jahr des Aufbruchs der jungen Firma – und das der nie
da gewesenen Einkaufstouren. Besonders, nachdem Anfang des Jahres neben dem
Onlinemarketing der erste skurile Fernsehspot – noch ohne Postbote, aber mit
einem vor Zalando warnenden Mann im Kleiderschrank – die Marke schlagartig
bekannt gemacht hatte. »Wir sind damals innerhalb von drei Monaten um das
Zehnfache gewachsen.« Rubin Ritter erinnert sich an zahllose Runden mit den
Einkäufern von Zalando, bei denen jeder vorstellte, was er noch irgendwo an
Ware zusammensuchen konnte: »Und dann haben wir überlegt, ob der Preis in
Ordnung war und ob wir die Posten kaufen. Wir konnten mit den Wünschen der
Kunden kaum mithalten und einfach nicht so viel Ware besorgen, wie sie
wollten.«
Üblicherweise ordern Textilhändler ein Dreivierteljahr, oft
sogar ein Jahr im Voraus, ihre Kollektionen. Zalando aber hatte diesen Vorlauf
nicht, weil man sich so spät entschlossen hatte, richtig aufzudrehen. Also
liefen Verkauf und Einkauf der Ware praktisch parallel – was den Stressfaktor
unglaublich erhöhte. Denn ein solches Daytrading ist nicht unbedingt das, was
die Steuerung eines Handelsunternehmens mit all seinen Vorlaufzeiten
erleichtert. Damals haben sie praktisch alles gekauft, was am Markt zu bekommen
war und was irgendwie zu Zalando passte. Ständig gab es wegen der rasant
steigenden Bestellzahlen Nachschubprobleme – eine Katastrophe für jeden
Händler: Man hat den Kunden, aber keine Ware!
Manchmal allerdings sorgte eine andere Katastrophe für zeitweise
– allerdings nur scheinbare – Linderung: »In dieser Zeit kam es vor, dass die
Server unter dem hohen Traffic zusammenbrachen«, erinnert sich Gentz an die
Chaostage. Zalando, das den Kundenservice doch so groß schreiben wollte, war
für seine Kunden kurzzeitig nicht mehr erreichbar. Manchmal haben sie sogar
kurzfristig Werbespots gestrichen, damit nicht das ganze System in die Luft
flog.
Ständig musste jetzt improvisiert werden, weil im laufenden
Geschäft neue Produkte ins Sortiment genommen wurden. Oft kam Ware nicht zum
vereinbarten Zeitpunkt vom Hersteller oder Großhändler. Oder sie kam zu früh
und war folglich noch nicht im Warenwirtschaftssystem vereinnahmt, war nicht
fotografiert und somit noch nicht reif für die Seite und den Verkauf. Dann stapelten
sich die Kartons viel zu lange im viel zu kleinen Lager – während Zalando
gleichzeitig
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