Schrei vor Glück: Zalando oder shoppen gehen war gestern
nicht ausreichend lieferfähig war. Der für dieses tote, im Weg
herumstehende Kapital üblicherweise verwendete Begriff »Sperrlager« ist bei den
frühen Zalandos heute noch ein Codewort für dieses viel zu stürmische Wachstum
mit all seinen ungewollten Nebenwirkungen.
Mehr Mitarbeiter mussten also her, die die Sperrlagerware im
System vereinnahmte, damit sie schnell verkauft werden konnte. »Wir haben
buchstäblich neue Kollegen von der Straße engagiert. Unsere Mitarbeiter sind
raus gegangen und haben vor einem Café neben dem Büro Passanten angesprochen,
die irgendwie nach Studenten aussahen und ihnen einen Job bei uns angeboten«,
erinnert sich Ritter. Das habe sogar funktioniert und unter den neuen Kollegen
seien zahlreiche Volltreffer gewesen. »Mein kürzestes Vorstellungsgespräch
dauerte eine halbe Stunde. Dann haben wir dem Mann ein Angebot unterbreitet,
wir waren uns einig. Ich habe ihn gefragt, wann er anfangen kann und er sagte:
Eigentlich sofort. Also ist er aus dem Vorstellungsgespräch heraus, hat seinen
Tisch und seinen Rechner aufgebaut – und dann hat er angefangen«, erinnert sich
der frühere McKinsey-Berater.
Sandra Schaarschmidt war in dieser Zeit in der internen Kommunikation
auch für die Mitarbeiter zuständig. Bis dahin war es üblich, dass sie neue
Kollegen im Intranet mit einem Foto und ein paar Zeilen kurz vorstellte. »Das
ging dann gar nicht mehr. Wir haben so viele Leute eingestellt, dass wir
Gruppenfotos machen mussten und einfach nur noch die Namen darunter geschrieben
haben.«
Und weil immer wieder irgendwo größere Probleme auftauchten,
führte Ritter die »War Rooms« ein. »Das hatten wir bei McKinsey mal bei einem
Mandaten gemacht.« Wie im Krieg wurden kurzfristig alle für die Lösung eines
Problems hilfreichen Kollegen in einem Raum versammelt – »und die durften dann
erst dann wieder herauskommen, wenn das Problem gelöst war«, erklärt Ritter.
Die »War Rooms« gibt es bei Zalando immer noch, wenn nötig. Gründer Gentz
staunt noch heute über das, was da im Frühjahr 2010 im Unternehmen passierte:
»Das waren 20-Stunden-Tage, Samstag und Sonntag inklusive. Drei Monate lang.
Das war vielleicht ein Akt – aber die Begeisterung hat uns die Zeit vergessen
lassen!«
Doch die in diesem Ausmaß nicht geplante Sturm-und-Drang-Phase
mit ihren Mühen und Unzumutbarkeiten schlug sich fulminant in den Zahlen
nieder: Auf drei Millionen Euro war der Umsatz im Februar 2010 – dem letzten
Monat vor dem Start der Fernsehwerbung – bereits angestiegen. Im Mai dann,
nachdem die Fernsehwerbung gestartet war, verzehnfachte sich der Umsatz
schlagartig: 30 Millionen Euro Bruttoumsatz – allerdings vor Retouren – in nur
vier Wochen! Geld, das nach Abzug der Kosten wieder für neue Einkäufe zur
Verfügung stand. »Wir hatten in dieser Zeit unbeschreiblich niedrige
Marketingkosten pro Order, weil wir bei den Kunden offene Türen eingerannt
haben. Wir hatten eine Welle an Nachfragen selbst ausgelöst und wurden dann von
ihr getragen«, freute sich Geschäftsführer Gentz.
Im zweiten Halbjahr 2010 wagte sich Zalando zudem erstmals ins
Ausland – nach Holland. »Es hat uns fast überrascht, wie gut die erste
Expansion lief«, sagt Schneider. Die Seite musste übersetzt und hier und dort
angepasst werden. Aber Grundsätzliches musste nicht geändert werden, damit aus
» zalando.de «
»zalando.nl« wurde. Die jungen Frauen diesseits und jenseits der Grenze hatten
vergleichbare Markenpräferenzen.
Kurze Zeit später in Frankreich sollte der Zalando-Start nicht
so reibungslos funktionieren. Denn hier gab es ein anderes Markenumfeld als in
Deutschland oder in den Niederlanden. »Dort benötigten wir etwa zwei Saisons,
um den Kunden richtig zu verstehen und uns an die lokalen Gegebenheiten
anzupassen«, so Schneider. Einfach nur die Seite zu übersetzen, reichte hier
nicht. Die Franzosen favorisierten neben den global angesagten Brands auch
viele regionale Marken, die Zalando erst einmal besorgen musste.
Einen großen Vorteil indes hatte der französische Markt von
Anfang an gegenüber dem deutschen, in dem die Kunden mindestens 50 Prozent der
georderten Ware an Zalando zurückzuschicken pflegten: Der französische Kunde
retourniert aus Tradition weit weniger, was für dem Onlinehändler enorm viel
Geld spart. »Die Deutschen waren es schon von den Katalogversendern gewöhnt,
dass sie die Ware kostenfrei zurückschicken konnten. In Deutschland entscheiden
deshalb viele Kunden erst
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