Schritte im Schatten (German Edition)
Heiratsantrag machen. Aber dieser junge Mann machte einen durchaus vernünftigen Eindruck. Er war nicht betrunken. Er war von nichts berauscht – außer vielleicht von Träumen. Er war nie aus Nordrhodesien herausgekommen. Und hier saß, hoch über der Erde, diese Frau neben ihm, eine Journalistin, hatte sie gesagt. Sie lebte in London. Dieser reizende junge Mann – er war gut zehn Jahre jünger als ich – war in irgendeiner Art Traum befangen. Eine Gestalt aus den Frauenzeitschriften, die seine Schwester kaufte, war gekommen und hatte sich im Flugzeug neben ihn gesetzt, und als sie sich am Flughafen mit einem Winken von ihm verabschiedete, empfand er einen tiefen Verlust, ungefähr so, wie wenn wir aus einem Traum vom Herzallerliebsten erwachen und feststellen müssen, dass unsere Arme leer sind.
Aber es war ein so merkwürdiger kleiner Zwischenfall, ein so bizarres Ereignis, dass ich es nicht vergessen konnte. Ich grübelte darüber nach – dann schob ich es beiseite, kam aber darauf zurück und brachte es mit anderen Erlebnissen dieser Art in Verbindung. Jeder jungen Frau mit auch nur minimaler Anziehungskraft fällt es schwer, so etwas als irrelevant abzutun, aber schließlich gelangte ich zu dem Schluss, dass manche Frauen so etwas wie leere Leinwände sind, auf die Leute – nicht nur Männer – Bilder projizieren. Diese Frauen brauchen nicht unbedingt schön oder auch nur hübsch zu sein. Sie können sogar unscheinbar sein. Sie ziehen zeitlebens Anträge und Angebote aller Art auf sich und machen einen Fehler, wenn sie sich einbilden, sie wären ein Tribut an ihre persönlichen Reize. Ich pflegte zu denken: Nun ja, wir sind gute Zuhörerinnen, vielleicht liegt es daran. Ich hörte mich diskret bei Frauen meines Alters um. Einige musterten mich mit einem Anflug von Hohn und Spott: Was soll der Quatsch? Aber andere wussten sofort, wovon ich sprach.
Kurz nach meiner Rückkehr nach London erhielt ich einen Anruf, einer der so häufigen Anrufe: »Du setzt dich nicht genügend ein.« Die Anführer des Nordrhodesischen Nationalkongresses waren in London. Wenn sie im Land geblieben wären, hätte man sie ins Gefängnis geworfen. Sie hatten nur sehr wenig Geld, lebten ärmlich, und ich sollte mich doch gefälligst um sie kümmern und dafür sorgen, dass sie wenigstens gelegentlich eine anständige Mahlzeit bekamen. So hatte ich einige Monate lang zwei- oder dreimal die Woche eine Reihe von schwarzen Exilanten in meiner Wohnung, in meinem großen Zimmer. Der wichtigste von ihnen war Harry Nkumbula, der Führer der Bewegung. Dieser damals so bekannte Politiker ist schon lange aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden. Wie so viele andere Afrikaner im Exil trank er zu viel. Später vertrat er eine Linie, die für die kompromisslose Einstellung der Schwarzen im damals im Entstehen begriffenen Sambia zu moderat war; er fiel in Ungnade, und Kenneth Kaunda trat an seine Stelle. Harry trank weiter und brachte sich damit um. Ein Jammer, er war ein außerordentlich netter Mann. Die Leute, die mich an diesen Abenden besuchten, stammten nicht alle aus Nordrhodesien. Einer von ihnen war Orton Chirwa aus Njassaland. Er arbeitete in London als Lehrer. Seine Schüler waren alle weiß. Jeden Morgen ließ er sie antreten, setzte sich auf einen Stuhl und erlaubte ihnen, an ihm vorbeizumarschieren, sein Haar zu befühlen und es zu bestaunen. Diese Zeremonie war unerlässlich, sonst wurde sein Unterricht ständig unterbrochen: »Bitte, Sir, dürfen wir Ihr Haar anfassen?« Orton war ein liebenswerter und geistreicher Mann, aber das rettete ihn nicht vor einem grauenhaften Schicksal. Ein anderer Stammgast war Babu Mohammed aus Sansibar, der damals Anarchist war. Er pflegte zeitig zu kommen und mit mir zu kochen; sein Beitrag bestand in großen Töpfen Curry auf Sansibar-Art. Es erschienen noch andere, aber ihre Namen habe ich vergessen. Diese Männer wussten nicht, dass sie bald Machtpositionen einnehmen würden. Sie waren unsicher, deprimiert und fühlten sich in London sehr einsam. Später blickte ich zurück und dachte betrübt an ihre so unterschiedlichen Schicksale. Orton Chirwa bekam es mit dem Tyrannen Hastings Banda zu tun und saß viele Jahre im Gefängnis, wo er angekettet, gefoltert und dann ermordet wurde. Kenneth Kaunda war der erste schwarze Präsident von Sambia. Mainza Chona, der vielversprechende junge Dichter des Parlaments, ein Mann voll bezauberndem Idealismus, wurde Innenminister und regierte über
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