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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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zu bringen«. Er entsprach damit dem Grundgefühl jener Zeit. Schwer zu glauben, dass es für diese intelligenten Leute noch 1956 , 1957 eine Offenbarung bedeutete, dass King Street log, Versammlungen inszenierte, Abstimmungen manipulierte. Alle möglichen Leute erschienen in der King Street und verlangten, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu hören. Da war Haimi Levy, der in die Sowjetunion gereist war, nachdem er King Street erklärt hatte, er fahre hin, ob sie nun Ja oder Nein sagten, und sich dort mit dem berüchtigten Suslow getroffen hatte. Haimi wollte mit ihm über die Behandlung der Juden in der Sowjetunion sprechen. Hunderte – Hunderttausende – waren ermordet, gefoltert, verfolgt worden. Während des Gesprächs wiederholte Suslow immer wieder, in der Sowjetunion gebe es keine Judenfrage, weil es dort keine Juden gebe. Haimi kehrte nach London zurück, verlangte von der Partei, dass sie öffentlich »mit der Wahrheit herausrückte«, und als sie sich weigerte, schloss er sich Edward Thompson, John Saville und den anderen an.
    Ich wollte eindeutig nicht, dass die »Revisionisten« sich in eine Position manövrierten, in der sie mit einem Fußtritt hinausbefördert werden konnten, weil dann die Partei noch schlimmer werden würde, als sie ohnehin schon war.
    Vor der neuerlichen Lektüre meiner Briefe an Edward Thompson war mir entfallen, dass ich Gollan aufgesucht hatte. Jetzt erinnere ich mich, dass er auf mich keinen großen Eindruck machte. John Gollan war der Nachfolger von Harry Pollitt als Führer der Kommunistischen Partei. Pollitt war solide, ehrlich, soweit ihm das möglich war, und wurde auch außerhalb der Partei geachtet. Er war ein Produkt der britischen Arbeiterbewegung und ihrer Kämpfe während der sehr harten Zeiten der zwanziger und dreißiger Jahre. Gollan war ein Produkt der Kommunistischen Partei – und das ist durchaus nicht dasselbe. Ich habe nie jemanden getroffen, der Harry Pollitt nicht respektierte, aber für Gollan hatten die Leute nicht viel übrig.
    Immer wieder bedrängte mich die Frage, wie ich die Partei verlassen konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Journalisten lagen auf der Lauer und warteten auf Abtrünnige, und dann gab es Schlagzeilen wie: »Soundso verkündet die Wahrheit über die kommunistische Hölle« – womit die Kommunistische Partei Großbritanniens gemeint war. Ich wollte keinen Stoff für Schlagzeilen liefern, wenn ich es vermeiden konnte. Also, weshalb tat ich dieses und jenes, suchte Johnny Gollan auf und schrieb Briefe an Edward Thompson, zumindest einige im Ton einer netten, aber ziemlich rechthaberischen älteren Schwester? Die Wahrheit ist leider, es muss die Freude an politischer Intrige gewesen sein, das Dasein im Zentrum der Dinge – mit anderen Worten Macht, sogar in diesem winzigen Rahmen.
     
    Fakten. Es gab mehrere Zusammenkünfte in meiner Wohnung, einem leicht erreichbaren Treffpunkt für Leute, die aus anderen Städten kamen. Die Leute, an die ich mich deutlich erinnere, waren Edward Thompson, John Saville, Haimi Levy und Randall Swingler.
    Von diesen leidenschaftlichen Debatten ist mir nichts in Erinnerung geblieben, wohl aber die Atmosphäre: lebendig, häufig bissig und selbstverständlich angefüllt mit dem Vergnügen an politischen Kämpfen. Natürlich müssen wir über den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Ungarn geredet haben, aber das ist im Lauf der Zeit zu
dem
Thema geworden, an das die Menschen sich heute erinnern. Ungarn war der Höhepunkt einer ganzen Reihe fürchterlicher Ereignisse, zu denen auch die Unterdrückung des Arbeiteraufstands 1953 in Ostberlin gehört.
    Mir war übel von der Spannung, die in alledem steckte, und ich war nicht die Einzige.
    Ich schrieb eine Geschichte für den
New Reasoner, Die Sonne zwischen den Beinen
, die ich für eine meiner besseren halte. Damals hielt ich sie für meinen Kommentar zu den Unzulänglichkeiten des Kommunismus, heute eher für einen zu der Eitelkeit menschlicher Wünsche.
    Mit den mit der Herausgabe der Zeitschrift verbundenen Plackereien und Mühen hatte ich nichts zu tun, das war weitgehend Edwards und Johns Sache.
    Wir glaubten immer noch alle an die Revolution wie an einen Glaubensartikel. [19]
    Ein Tosen von Veränderungen … ein Sturm … ein Hurrikan hob mit den dramatischen Ereignissen von 1956 an. Oder richtiger, die dramatischen Veränderungen, die bis zu diesem Zeitpunkt, mehr oder minder unter Ausschluss der Öffentlichkeit für uns unsichtbar

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