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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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auf ihrem Bett saß und darauf lauschte, dass ich aufhörte. Eine allzu lange Stille, und dann kam sie herunter, und ich hörte das leise Klopfen an meiner Tür. »Doris? Doris? Bist du fertig mit Arbeiten?« Und dann saßen wir in der Küche und tranken Tee, und ich hörte von ihrem Dorf, ihrer Familie, ihrer Mutter, die sie so sehr vermisste, dass sie weinen musste, wenn sie an sie dachte, und von ihren Schwestern und ihrem kleinen Bruder und ihren Cousins … Ich lernte ihre Familie besser kennen, als ich früher meine eigene gekannt hatte. Binnen einer Woche hatte ich alle Hoffnung auf wirkliches Arbeiten aufgegeben, erledigte praktische Dinge in den wenigen Stunden, in denen sie fort war, und versuchte, gegen das Fieber der Erbitterung und der Ungeduld anzukämpfen, das mich vergiftete. »Wollen wir gehen und deine Freunde besuchen?«, schlug sie hoffnungsvoll vor, wenn sie zurückkehrte. »Wollen wir zusammen einen Schaufensterbummel machen?«
    Schriftsteller, insbesondere Schriftstellerinnen, müssen um die Bedingungen kämpfen, die sie zum Arbeiten brauchen, aber dies war die schlimmste Erfahrung, die ich je gemacht habe, wegen der Schuldgefühle, die ihre Einsamkeit in mir weckte.
    »Hast du keine Freunde oder Freundinnen im College? Hast du dort nicht jemanden kennengelernt, den du magst?«
    »Du bist meine Freundin«, sagte sie, legte beide Hände um meinen Unterarm und schaute mir ins Gesicht. »Du bist meine beste Freundin in London.«
    Schließlich rief ich ihren Förderer an und hörte die kalte, missbilligende Stimme. »Sie können doch bestimmt ein bisschen Zeit für sie erübrigen.«
    »Es geht hier nicht um ein bisschen Zeit; es geht um die ganze Zeit, in der sie nicht im College ist.«
    »Ich muss schon sagen, es überrascht mich, das von Ihnen zu hören.«
    »Hören Sie, ich muss arbeiten, und ich kann nicht arbeiten …«
    »Aber können Sie denn nicht arbeiten, während sie Vorlesungen hört?«
    »Tut mir leid, aber Sie müssen einen Ort für sie finden, wo sie massenhaft Menschen um sich hat – eine große Familie.«
    »Sie meinen, eine schwarze Familie?« Es war eine kalte, anmaßende, herablassende Stimme.
    »Ich habe nicht gesagt, eine schwarze Familie. Irgendeine große Familie. Sie ist es gewohnt, viele Leute um sich zu haben, und zwar ständig.«
    »Im Moment sehe ich da keine Möglichkeit.«
    »Ich muss arbeiten, ich muss mir meinen Lebensunterhalt verdienen – ich muss für ein Kind sorgen.«
    Und endlich wurde eine Familie gefunden mit einem Mädchen in ihrem Alter, und die arme Exilantin zog mit ihren paar Habseligkeiten ab, mit dem Gefühl, in London versagt zu haben, und ich blieb zurück und kam mir wie eine Verbrecherin vor – und zählte die Tage der Freiheit, die mir bis zu den Schulferien noch blieben.
     
    Ungefähr um diese Zeit war mein Sohn John Wisdom [24] auf der Durchreise in London.
    Er wollte Förster werden und hatte an der Universität von Stellenbosch studiert, aber die war damals sehr Afrikaans und antibritisch und weit davon entfernt, Südrhodesien zu bewundern, und John, der Brite war, zum Briten erzogen wurde, konnte das nicht ertragen und reiste beinahe umgehend von dort wieder ab. Im kanadischen Vancouver gab es sehr gute Studienmöglichkeiten für Forstwirtschaft, und er hatte beschlossen, dorthin zu gehen. Ich sah ihn seit beinahe zehn Jahren zum ersten Mal wieder, und als er in mein Zimmer trat, hätte ich, obwohl ich ihn erwartete, beinahe »Hallo, Harry« gesagt, denn er ging, stand, hielt seine Schultern, lächelte wie mein Bruder. Er blieb drei Tage in London. Er hatte helle Lichter erwartet, und ich tat mein Bestes, aber er war enttäuscht, dass ich nicht in besseren Verhältnissen lebte. Eine bekannte Autorin sollte doch bestimmt … Ich weiß nicht, was er erwartete. Wir gingen in ein paar gute Restaurants und ins Theater, und er genoss alles. John war zeit seines Lebens jemand, der alles genoss. Wir kamen sehr gut miteinander aus. Schließlich waren wir immer gut miteinander ausgekommen. Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass Leute instinktiv harmonieren, wenn sie über nichts derselben Meinung sind und eine völlig entgegengesetzte Lebensanschauung haben. John war in der Überzeugung erzogen worden, dass ich eine leibhaftige Hekate war, eine Kaffernfreundin, eine Kommunistin. Er hatte nie ein gutes Wort über mich gehört, und es gab sogar eine Zeit, in der man ihm verboten hatte, mir zu schreiben. Die Briefe und Bücher, die ich meinen

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