Schritte im Schatten (German Edition)
beiden Kindern schickte, die Briefe, die sie mir schickten – damit musste Schluss sein. Der Entschluss, diese problematische Mutter zu besuchen, kann ihm nicht leichtgefallen sein, aber alles lief bestens. Er ging an die Universität von Vancouver, ließ sich immatrikulieren – und verließ zwei Wochen später die Vorlesungen, die Universität und Vancouver. In jener Zeit – und vielleicht trifft das auch heute noch zu – gab es Männer, die den ganzen Winter hindurch ein hartes, raues Leben führten, gutes Geld für gefährliche Arbeit verdienten, aber im Sommer ihr Leben in den Bars und auf dem Wasser in Vancouver genossen. Genau das tat John, sieben Jahre lang. Sein erster Job war der eines Feuerwächters irgendwo im hohen Norden. Der Job bestand darin, sich auf einem hohen Turm aufzuhalten, von dem aus man einen Blick über ein großes Areal Landschaft hatte, nach dem Rauch von Buschfeuern Ausschau zu halten und sobald notwendig über Funk die Feuerwehr zu alarmieren. John hörte Jazz von der Voice of America und klassische Musik aus Moskau. Er beobachtete die Wölfe, die unter seinem Turm im Schnee herumstreiften, denn er erregte ihre Neugierde ebenso wie sie die seine. Er bewunderte sie und behauptete, sie seien gute Freunde geworden. So lebte er sechs Monate lang, völlig allein; er war gerade achtzehn geworden. Später sagte er, diese Zeit habe zu den besten Zeiten seines Lebens gehört. Danach hatte er alle möglichen Jobs. Er arbeitete als Landvermesser, obwohl er diesen Beruf nicht erlernt hatte; er hatte einem Freund übers Wochenende bei der Arbeit zugeschaut und dann dem Arbeitgeber bewiesen, dass er seinen Job verstand. Er arbeitete in Sägewerken. Im Sommer genoss er sein Leben. Er war nicht gerade ein großer Briefschreiber, aber ich bekam etliche lange Briefe, randvoll mit den kleinen Details seines Lebens, immer den interessantesten, und zweimal ein Tonband. Im Sommer zuvor hatte er mit zwei Australiern in einem kleinen Haus gelebt, sie hatten dieses und jenes gekocht – John war berühmt für seine Kochkünste –, sie hatten jeden Abend eine Party gefeiert, waren in jeder freien Minute in der Bucht gesegelt, und das Eis war gerade aufgebrochen, und er war in das tobende und tosende Wasser hineingerannt, hatte auf Eisschollen balanciert, und sie nannten ihn alle den verrückten Wisdom, aber er war immer noch am Leben, ob nun verrückt oder nicht. Im Winter davor hatte er in einem Sägewerk gearbeitet und war mit der linken Hand in die Maschine geraten, die Ärzte hatten seinen Arm amputieren wollen, aber er hatte es nicht zugelassen. Er brachte sie dazu, dass sie ihn so operierten, dass er erhalten blieb, obwohl sie sagten, es sei sinnlos. Aber er hatte recht behalten, er konnte seine Hand für fast alles gebrauchen. »Ich habe gelesen …« Er las eine Menge Abenteuer- und Seegeschichten, Kriegsbücher. Er liebte die See, aber bald sollte er Hunderte von Meilen von der See entfernt hoch im Gebirge leben. Er hatte meine Kurzgeschichten gelesen. Ihm gefielen besonders die über den Busch, er wusste, wovon ich redete, aber er fand, dass ich den Weißen gegenüber unfair war. »Darüber müssen wir uns einmal ausführlich unterhalten.« Sieben Jahre vergingen. Und dann tauchte er auf der Durchreise abermals in London auf. Er sagte, er sei in einer Bar gewesen, habe die Männer beobachtet, die zehn Jahre älter seien als er, aber immer noch das Leben zäher junger Männer führten, obwohl sie nicht fünfundzwanzig seien wie er, sondern fünfunddreißig und vierzig, aber sie würden schlaff und weich und verfielen dem Alkohol, und das habe ihm so zu denken gegeben, dass er beschlossen habe, Kanada zu verlassen und nach Hause zurückzukehren, obwohl das sehr traurig sei, es gebe kein Leben, das ihm besser gefallen könnte. Und er kehrte nach Südrhodesien zurück, um dort sein Glück zu versuchen.
Und wieder, da ich dies schreibe, stellt sich das Problem: Aber das ist doch alles äußerlich, man könnte glauben, mein Leben hätte nur aus Politik und Persönlichkeiten bestanden, obwohl ich in Wirklichkeit die meiste Zeit in meiner Wohnung allein war und arbeitete. Die weitläufigen Räumlichkeiten in der Warwick Road waren etwas völlig anderes als die enge, niedrige, intime kleine Wohnung in der Church Street. Sie glichen sich nur in einer Hinsicht: dem Lärm. In der Church Street rumpelten die Busse vorbei, und in der Warwick Road knatterten und dröhnten den ganzen Tag und den
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