Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
größten Teil der Nacht die Lastwagen. Jetzt lebe ich einem Haus, das ebenso gut auf dem Land stehen könnte und ringsum Bäume und sogar einen Acker hat, obwohl dies noch London ist, und alles ist ruhig bis auf die Bäume und den Wind in den Bäumen und um die Kamine herum – und nachts totenstill. Heute frage ich mich, wie ich diese acht Jahre Lärm damals ertragen habe. Aber ich bin überzeugt: Wenn man älter wird, verlieren die Trommelfelle eine Lärmschutzschicht nach der anderen.
    Die Warwick Road war mit ihrem Oben und Unten fast ein kleines Haus. Oben in einem großen Zimmer wohnte Peter in seinen Ferien; seine Besitztümer quollen in das kleine Zimmer daneben über. In dem anderen großen Zimmer hielt sich Clancy auf, wenn er da war, und in dem kleinen Zimmer befanden sich meine Kleider. Den ganzen Tag rannte ich treppauf und treppab – nicht so schwerfällig wie heute, wo ich mich am Geländer festhalte –, wanderte in meinem großen Zimmer herum oder von dem großen Zimmer in die Küche, hin und her, denn beim Schreiben muss ich Bewegung haben. Genau so, wie ich, wenn ich auf die Church Street zurückblicke, Joan und mich an ihrem kleinen Tisch in der Küche sehe, wo wir uns unterhalten, den neuesten Klatsch austauschen, das Leben, die Liebe, die Männer und die Politik in Ordnung bringen, den besten Teil meiner Zeit dort – eine meiner besten Zeiten in London –, so blicke ich jetzt auf die Warwick Road zurück und erinnere mich, wie Clancy oder der eine oder andere Besucher mit mir am Küchentisch sitzt, und wir reden und reden. Über Politik und Literatur, aber vor allem über Politik in diesen schwierigen Zeiten, in denen »alles« auseinanderbrach. Inzwischen hat es zwei Generationen gegeben, die nie über etwas anderes reden als über Einkäufe und den neuesten Klatsch, und wenn ich mit ihnen zusammen bin, frage ich mich, wie sie diese winzige, eng umgrenzte Welt ertragen können, in der sie leben.
    Es war das große Zimmer, in dem ich mich die meiste Zeit aufhielt. Es hatte drei hohe Fenster, das in einer Nische in der Ecke stehende Bett, den Schreibtisch mit der Schreibmaschine, den kleinen, glänzend schwarz gestrichenen Tisch mit den Aschenbechern, den Zigaretten, dem Chaos und dem Geruch der Raucherin, denn ich rauchte damals so viel, dass ich es heute kaum noch glauben kann. Ich wanderte hin und her und im Kreis herum, schrieb einen Satz, wanderte weiter, schaffte einen Absatz, strich ihn durch, schrieb ihn neu, schaffte eine Seite, die stehenbleiben konnte, jedenfalls fürs Erste. Dieser Prozess, dieses Herumwandern und Nachdenken, während man etwas von einem Stuhl aufhebt und es anstarrt, praktisch ohne zu wissen, was es ist, und es dann wieder fallen lässt, etwas in einer Schublade verstaut, sich dabei ertappt, wie man einen Stuhl abstaubt oder einen Stapel Bücher an der Wand gerade rückt oder am Fenster steht und den vorbeifahrenden Lastwagen nachschaut – das ist das Gegenteil von Tagträumen, denn es ist vollständige Konzentration, man ist tief drinnen, und die Außenwelt ist lediglich etwas Materielles. Und es ist erschöpfend, denn plötzlich, nach ein oder zwei Stunden, nach vielleicht nur ein oder zwei geschriebenen Seiten, kommt man sich so schwer vor, dass man aufs Bett und in Schlaf fällt für die unerlässliche halbe Stunde, fünfzehn Minuten oder zehn – und dann wieder auf, erfrischt, die Anspannung ist gebrochen, und dann wieder die Wanderungen, das Berühren von Dingen, das ziellose Aufräumen, das Aus-dem-Fenster-Schauen, die Annäherung an die Schreibmaschine, und dann sitzt man und die Finger fliegen, solange es eben geht – und wieder auf, wieder Bewegung. Wie vertraut mir dieses Zimmer geworden ist, jede Faser und jeder Faden darin, dessen Oberflächen ich selbst geschaffen hatte: das schlichte Weiß der Wände, der Teppich, den ich grün gefärbt hatte, die Dielen, die ich hochglänzend schwarz gestrichen hatte, die grün-weißen Vorhänge, auf meiner Singer-Nähmaschine genäht, die ich den ganzen weiten Weg von Afrika mitgebracht hatte.
    Während ich hantierte, zögerte, in Schlaf versank und wieder auftauchte, in die Küche und wieder zurück wanderte, hörte ich vielleicht Clancys Schreibmaschine, die oben wie ein Maschinengewehr ratterte, Stunde um Stunde, ohne die geringste Unterbrechung. Und dann lange Stille, wieder hektisches Geklapper, dann wieder Stille.
    In der Warwick Road schrieb ich eine Menge Kurzgeschichten, die in Afrika, in

Weitere Kostenlose Bücher