Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
Realismus« wurde dazu benutzt, die bekannten Schriftsteller in Misskredit zu bringen. Und jetzt werden diese primitiven Emotionen in den Ländern der Dritten Welt gegen die Erfolgreichen verwendet.
    Clancys kleines Buch löste einen Sturm der Entrüstung aus. Eine der Anschuldigungen war, dass er die Gutmütigkeit der Bergleute in dem fraglichen Dorf ausgenutzt habe. Aber er hatte Len Doherty das Buch gezeigt, der seine Zustimmung zur Veröffentlichung gegeben hatte.
    Dann forderte der
New Reasoner
Len Doherty auf, es zu rezensieren.
    Darauf folgte ein Austausch von sehr hitzigen Briefen zwischen mir und dem
New Reasoner
, zwischen mir und Edward Thompson. Ich verfügte eindeutig über ein niederträchtiges kleines Talent für scharfe Worte. Aber schließlich waren wir alle in die Schule der Niedertracht gegangen. Ich will nur zwei kleine Ausschnitte zitieren, die für meine Hauptargumente relevant sind:
    »Ich ertrage es einfach nicht mehr, dass Sozialisten sich gegenseitig das Messer in den Rücken stoßen.«
    »… eine Wiederauferstehung dieses destruktiven Verhaltens, das allen, die in der C.P. waren, nur allzu vertraut ist – wenn die Linke zufällig einmal ein schöpferisches Talent hervorbringt, dann ist der erste Impuls, es zu vernichten.«
    Ich lasse die wirklich harten Worte aus, aber ich habe Edward gesagt, er sei ein Mistkerl. Er war ebenso unverblümt. Diese freimütige, brüderlich-schwesterliche Keilerei entsprach damals weitgehend dem Stil der Genossen. Wir blieben gute Freunde, nachdem der Sturm oder das Stürmchen sich gelegt hatte.
    Weekend in Dimlock
löst immer noch irrationale Feindseligkeit aus, und zwar gerade bei den Leuten, von denen man erwarten sollte, dass sie es schätzen. »Hat ein Amerikaner geschrieben«, bekommt man zu hören. »Was weiß der schon über unsere Arbeiterklasse?« – »Nach einem kurzen Besuch geschrieben.« – »Er hat die Bergleute ausgenutzt.« Und so geht es weiter, jahrein, jahraus, Jahrzehnt um Jahrzehnt. Früher habe ich einmal daran gedacht, eine Liste der guten und originellen Bücher aufzustellen, die das Gemetzel durch die Genossen überlebt haben; sie wäre recht instruktiv gewesen. Aber dann fand ich, dass es eine Menge Zeit und Arbeit kosten und nicht das Geringste ändern würde, weil die Leute, die das Bedürfnis verspüren, neue und gute Bücher zu attackieren, selbst nicht wissen, welches ihre wirklichen Motive sind. Neid hat sich schon immer hinter moralischer Entrüstung versteckt. [26]
    Clancy kehrte mehrere Male nach »Dimlock« zurück und blieb mit Len Doherty befreundet, der eine schwierige Zeit durchmachte. Er war ein junger Mann in den Zwanzigern mit einer Frau und, glaube ich, drei kleinen Kindern, aber in der Ehe gab es Probleme. Clancy brachte ihn mit nach London, er wohnte in meiner Wohnung, und Clancy und Alex nahmen ihn mit auf ihre Ausflüge, die natürlich die Neue Linke und ihre Reviere mit einschlossen, nach Soho und zu anderen aufschlussreichen Orten. Len kam wieder und brachte einen Freund mit, einen Bergmann, dann kam er abermals, jetzt mit zwei oder drei Freunden. Ich empfand Clancys und Alex’ Einstellung gegenüber Len als väterlich, sie machten sich Sorgen um ihn. Er war ein dunkelhaariger, viel zu dünner, innerlich verspannter junger Mann, der plötzlich ins Rampenlicht geraten war. Er strahlte moralische Erschöpfung aus wie abgestandene Luft, was oft das Anzeichen einer körperlichen Erkrankung ist. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem er oben im Bett lag; an diesem Tag hatte er es nicht geschafft aufzustehen, nachdem er sich am Abend zuvor sinnlos betrunken hatte, er hatte Fieber, und ich und einer der Bergleute versuchten ihn ruhig zu halten, denn er schlug um sich und warf den Kopf von einer Seite zur anderen. »Es ist zu spät«, krächzte er immer wieder, »es ist zu spät.«
    Er wurde Journalist und arbeitete bei einer Lokalzeitung, dann starb er, viel zu jung.
    Diese kleine Geschichte illustriert das Dilemma des Journalismus, »der Medien« – was passiert, wenn in einer Gemeinschaft ein Bewusstsein ihrer selbst erweckt wird und sie gezwungen ist, sich durch die Augen anderer zu betrachten. Ich glaube nicht, dass Lens Schicksal ohne
Weekend in Dimlock
viel anders verlaufen wäre, aber vielleicht hat es ihn unglücklicher gemacht, dass man ihm das zeigte, was für ihn die Glitzerwelt des literarischen London gewesen sein muss, denn er wäre selbst gern Schriftsteller geworden.
     
    Ich nahm Clancy

Weitere Kostenlose Bücher