Schritte im Schatten (German Edition)
missverstanden und nicht gewürdigt. Die Romane, die nach dem Ersten Weltkrieg erschienen, bezeugen diese Bitterkeit, die die Soldaten empfanden. Remarques
Im Westen nichts Neues
war vielleicht der bitterste und der beste. Es gab eine Karikatur von Bairnsfather. Ein romantisches Mädchen im Nachthemd und mit gelöstem Haar lehnt sich bei Vollmond aus dem Fenster. »Der gleiche liebe alte Mond blickt auf ihn herab.« Aber der Soldat, von dem sie träumt, steht in einem Granattrichter im Niemandsland mit einem Kameraden bis zur Taille im Wasser und verflucht den Mond, der ihn für den Gegner sichtbar macht.
Sie
: die dumme Mehrheit;
wir
: die wir die Wahrheit kennen – und die Wahrheit ist hart, schmerzhaft, blutig, und die Realität ist Qual und Leiden, und die besten Leute kennen diese Wahrheit, und die schlimmsten sind selbstgefällige Idioten, die sich weigern, die Realität anzuerkennen.
Die Wahrheit war die Domäne einer wissenden und erfahrenen Minorität Eingeweihter.
Identifikation mit Qualen und Leiden. Das lässt sich leicht mit »Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen« übersetzen. Als ich mich auf meiner Reise in die Sowjetunion befand, war dieses Gefühl sehr stark: Hier steht der Motor der Ereignisse, hier schlägt das schmerzhafte Herz der Wahrheit.
Ich halte es für wahrscheinlich, dass, als junge Leute Ende der dreißiger Jahre Kommunisten wurden und im Spanischen Bürgerkrieg kämpften, dies geschah, weil ein Muster sich wiederholte. Sie schlossen sich jungen Soldaten an, die betrogen worden waren. Denn die demokratischen Regierungen von Frankreich und Großbritannien weigerten sich, der belagerten demokratischen Regierung Spaniens zu Hilfe zu kommen; sie erlaubten Hitler und Mussolini, in Spanien zu tun, was sie wollten; die Folge war, dass der Faschist Franco siegte und Hitler und Stalin ermutigt wurden. Die Internationalen Brigaden erlebten dasselbe wie ihre Väter. Und dann der Zweite Weltkrieg, in dem die Sowjetunion die Hauptlast der Kämpfe zu tragen hatte. Die Sowjetunion verlor im Krieg acht Millionen Menschen. (Nicht zwanzig Millionen – in dieser Zahl sind die Opfer von Stalins Morden an seinem eigenen Volk enthalten; frisierte Bücher. [27] )
Schwaden, Unmengen von niedergemähten Menschen; sich mit der Sowjetunion zu identifizieren bedeutete, dass man an dem damals tief verwurzelten Gefühl teilhatte, dass im Leiden die Wahrheit zu finden war. Was schließlich nur eine Fortsetzung der religiösen Leidensliebe war, ein Modell, das im europäischen Denken schon lange vor dem Ersten Weltkrieg existierte.
Und das ist meines Erachtens der Grund dafür, dass Leute so mühelos Kommunisten wurden und dabeiblieben. Der Kommunismus wurde, illuminiert von Leuchtgeschossen der Hoffnung, in Gewittern aus Feuer und Blut, Kugeln und Stahl geboren.
Bescheid wissen
bedeutete, dass man in die Wahrheit eingeweiht war, wusste, wie die Dinge
wirklich
funktionierten. Und was konnte die Wahrheit anderes sein, als dass unermessliches Leiden der Preis ist, den »das Leben selbst« in seinem qualvollen Aufwärtsprozess fordert – immer aufwärts, das versteht sich von selbst. Das Leben selbst – die Fakten, die Wirklichkeit, tatsächliche Ereignisse, es kann nicht anders sein, als dass sie angefüllt sind mit der widerwärtigen Realität, die Unsinn verbreitet und Illusionen, die die Unbedarften nähren. Die Dummen.
Eine Generation später hieß es, »was Sache ist«. Die Wahrheit, die harten Tatsachen, die
wahren Erlebnisse
– die, mangels Krieg oder Revolutionen, bald in Drogen, Halluzinogenen, Illusionen gefunden werden sollten.
Als die Menschen die tatsächliche Situation in der Sowjetunion akzeptierten, wurde etwas tief in ihnen Verborgenes bestätigt, ein Wissen um Gräuel und Verrat. Ein hoher Preis musste gezahlt werden; und mit diesem Wissen ist ein dunkles, gieriges Verlangen nach Schmerz verbunden. Die Wurzel des Kommunismus – eine Liebe zur Revolution – ist, wie ich glaube, Masochismus, Freude am Schmerz, Befriedigung durch Leiden, die Identifikation mit dem erlösenden Blut. Dem Kreuz, mit anderen Worten. »Die Partei« zu verlassen bedeutete, auf die größere Wahrheit zu verzichten und darauf, einer der Eingeweihten zu sein, die die wahren Lebensprozesse verstehen.
Und hier, glaube ich, liegt eine Analogie zu dem Widerstreben von Menschen, die jemanden lieben, ihre absurden Hoffnungen aufzugeben. Wenn man aus diesem Land der Träume heraustritt, gibt man
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