Schritte im Schatten (German Edition)
porträtiert, launisch und gefährlich, ein Feind von Gesetz und Ordnung. Er hat gerade verkündet, dass Shakespeare kein Talent hatte. Eines Abends erscheint er im Arts Club, mit einem Totenschädel in der erhobenen Hand. Er steht mit einem netten, schüchternen und gewinnenden Lächeln auf der Schwelle und wartet darauf, dass wir lachen.
Eine erstaunliche Zahl von Vätern aus der Oberschicht rennt im Land herum, knallt mit Peitschen und brüllt, dass sie junge Männer verprügeln werden, die mit ihren Töchtern geschlafen haben – genau wie in Osbornes
Blick zurück im Zorn
.
Man kann keine Zeitung zur Hand nehmen, ohne etwas über einen zornigen jungen Mann zu lesen.
Eine Hypothek aufzunehmen und sich daranzumachen, Grundbesitz zu erwerben, galt als Kapitulation vor dem Kapitalismus und bedeutete, dass man in Gefahr war, seine Seele zu verlieren.
Ein starkes antiamerikanisches Gefühl: Die Vereinigten Staaten waren der Hauptfeind der Welt, eine faschistisch-imperialistische Macht, viel schlimmer als die Sowjetunion. Alle Amerikaner waren reich. Clancy und andere Amerikaner betonten immer wieder, dass in den Staaten die allerschrecklichste Armut herrschte, und ich konnte beobachten, wie ihre britischen Gastgeber sie von oben herab behandelten und sogar über sie lachten: Natürlich mussten diese Kommunisten so etwas sagen.
Alles Britische war nach wie vor das Beste. Ausgenommen das Essen und der Kaffee, darin wurde anderen Ländern der Vorrang eingeräumt.
Soziologie, diese Beobachtung der Menschheit durch sich selbst, noch keine zwei Jahrzehnte alt, wenn man das Studium der Massen als ihren Anfang betrachtet, wird von der überwiegenden Mehrheit der Linken ignoriert und in Misskredit gebracht.
Weshalb haben wir kein Nationaltheater wie jedes andere Land in Europa? Weshalb werden die Künste von unserer Regierung ständig herabgesetzt und mit zu wenig Geld ausgestattet?
Vivien Leigh spielte die Blanche Dubois in
Endstation Sehnsucht
. Es war die erste Aufführung des Stückes in London, und wir waren das Unmittelbare der Emotion amerikanischer Dramen noch nicht gewohnt. Ein sehr großes Theater – zu groß. Es war nur halb voll. Eine Nachmittagsvorstellung. Jede Menge Rüpel, da sie gehört hatten, es wäre ein schmutziges Stück. Sie warfen ihren Abfall auf die Bühne, riefen Vivien Beleidigungen zu und machten lautstark Bemerkungen. Im Zuschauerraum herrschte ein derartiger Lärm, das es fast unmöglich war, dem Stück zu folgen. Vivien Leighs Ehe mit Laurence Olivier war gerade gescheitert, und sie war krank, und ihr Spiel hatte einen Grad an Echtheit, der für die Leute, die ihr zugetan waren, beinahe schmerzhaft spürbar war. Sie war eine unvergessliche Blanche. Ich nehme an, wir erlebten einen für Theaterbesuche in ausgelasseneren Zeiten üblichen Nachmittag, bei dem das Publikum seiner Missbilligung lautstark Ausdruck verlieh und mit Gegenständen nach den Schauspielern warf.
Auf dem Platz des Himmlischen Friedens hört eine Million Menschen Mao Tse-tung zu. Ted Allan ist dabei. Mao sagt, die Vereinigten Staaten planten, Atombomben auf China abzuwerfen, um den grandiosen neuen Aufbruch des Kommunismus zu zerstören, aber »in China gibt es massenhaft Menschen«, und selbst wenn Amerika die Hälfte der Bevölkerung umbringe und das halbe China in Schutt und Asche lege, so mache das nichts. Das kommunistische China werde sich mit der anderen Hälfte zur Wehr setzen. Tumultartiger Beifall, der viele Minuten andauert.
Ich sah mir in Gesellschaft von Freunden meines Alters das Musical
South Pacific
an. Allmählich empfand ich Unbehagen, dann war ich verstört und schließlich empört. Ja, wir empfanden alle dasselbe. Wir waren mit Büchern und Theaterstücken aufgewachsen, die gegen die Schrecken des Krieges protestierten. Und hier sahen wir eine abgeschmackte Geschichte, die den Zweiten Weltkrieg als Hintergrund hatte – den Krieg im Pazifik, diesen grauenhaften, mörderischen Krieg, dargestellt als etwas, das man als gegeben hinnehmen musste, nichts Besonderes im Vergleich zu dieser paradiesischen Insel, sexy amerikanischen Soldaten, einer Liebesaffäre, einer sanften Botschaft über Rassismus. Niemand sonst im Publikum schien sich daran zu stören. Es war einer der Momente, in denen man begreift, dass, ohne dass man sich dessen bewusst geworden ist, eine Veränderung des moralischen Wertempfindens stattgefunden hat und man zurückgeblieben ist, auf
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