Schritte im Schatten (German Edition)
irgendeinem lächerlichen Außenposten gestrandet. Dasselbe habe ich bei
Hiroshima mon amour
empfunden, mit seinen Bildern von totem und gepeinigtem Fleisch, untermischt mit Körpern, die sich im Liebesakt winden. Eine neue Sensibilität, für mein Empfinden unredlich, korrupt und krank.
Nichts hat sich mehr verändert als die Einstellung gegenüber Liebe, Sex, Ehe und allem, was dazugehört. Während der fünfziger Jahre ging von den Vereinigten Staaten ein Lebensgefühl voller Entmutigung, Traurigkeit, Bestürzung über das aus, was zwischen Mann und Frau vorgeht. Es gab Verzweiflung von einer stillen, geduldigen Art. Ein Film, dessen Titel ich vergessen habe, handelte von einem Mann und einer Frau, die beide nach Liebe suchten –
wahrer
Liebe, und darum ging es. Der Film spielte in New York. Diese beiden Menschen wanderten durch die Stadt, die für sie kalt und feindselig war, und obwohl sie sich oft in derselben Straße, derselben Bar oder demselben Restaurant befanden, begegneten sie einander nie. Sie waren füreinander geschaffen, dazu geboren, einander in die Arme zu fallen – »Hier bist du, endlich« –, aber die große Wildnis, die Stadt, hielt sie voneinander fern. Es hat für mich nie eine intensivere Vision von Einsamkeit gegeben, als in diesem Film zu sehen war. All das hat sich geändert: Die sechziger Jahre haben diese grauen und kummervollen Miasmen fortgeblasen.
Ein Ernährungsberater, ein gewisser Dr. Gelfand, hat, unterstützt von der Regierung und medizinischen Experten, verkündet, dass gute Ernährung aus Eiweiß und Fett und einem Minimum an Kohlehydraten bestehen muss. Fleisch, Butter, Milch, Käse und Eier würden uns alle bis zu einem »gesunden« Tod erhalten. Männer bräuchten 3500 bis 4000 Kalorien pro Tag, Frauen 2500 bis 3000 . Es gebe zwei Arten von Eiweiß: erstklassiges Eiweiß, in erster Linie Fleisch, auf das die Weltbevölkerung abzielen solle, und zweitklassiges Eiweiß, Hülsenfrüchte, pflanzliches Eiweiß, das – wenn man es sich recht überlege – nur von zweitklassigen Leuten verzehrt werde. Dieses Dogma herrschte für mindestens zehn Jahre.
Weiße Amerikaner beleidigten jetzt ihre Ehefrauen und weiße Frauen ganz allgemein – sie seien nicht sexy, praktisch überhaupt keine Frauen; wahre Frauen seien schwarz und wüssten, wie man sich bewegt – vor allem den Hintern.
Cafés, erst seit so kurzer Zeit vorhanden, die einzige Zuflucht für junge Leute, sofern sie nicht in Pubs gehen wollten, florierten überall im Land, wurden aber oft von der Polizei geschlossen oder ständig belästigt, die nicht begriff, dass sich eine Jugendkultur entwickelt hatte. Die Jugendlichen hatten dort alle ihren Spaß; das durfte man nicht zulassen.
Auf meinem Weg über den Trafalgar Square kam ich an einer kleinen Gruppe von Demonstranten vor der südafrikanischen Botschaft vorbei. Ein Mädchen wollte mir ein paar Flugblätter in die Hand drücken. Weil ich meinte, dass ich über Südafrika keine Informationen brauchte, schüttelte ich den Kopf. Sie warf mir Beschimpfungen an den Kopf, von denen »Faschistin« noch die harmloseste war.
Eine Commonwealth-Kunstausstellung wurde von sämtlichen Kritikern ignoriert. Freunde aus Westindien baten mich, ich solle doch versuchen, die Kritiker wenigstens dazu zu überreden, dass sie einen Blick darauf warfen. Ich rief Zeitung nach Zeitung an, schrieb Briefe. Das Problem war, diese Räume waren angefüllt mit großen, farbenfrohen Bildern, voller Verve und Vitalität, und das war nicht das, was die Kritiker als Kunst gelten ließen. Selbst die ein oder zwei Kritiker, die kamen, taten sie mit wenigen Worten ab. Die unwissende und nicht informierte Öffentlichkeit kam überhaupt nicht.
In den sechziger Jahren erschien ein Buch über die Fünfziger mit dem Titel
The Fifties
, und die Angaben darin über mich waren zum Teil falsch, also nahm ich an, dass es die über die anderen Leute auch waren. Der Autor hatte sich nicht die Mühe gemacht, irgendjemanden von uns zu interviewen, und war so unerfahren, dass er sich einzubilden schien, die »Namen« auf den Briefköpfen von Organisationen stünden für die Leute, die die eigentliche Arbeit taten. Ich beschwerte mich brieflich, und seine Antwort war: »Ich habe den Eindruck, dass Sie mich nicht leiden können«, nicht: »Es tut mir leid, dass ich so ein schludriges Buch geschrieben habe.« Ich war schockiert und begriff nicht – niemand von uns tat das
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