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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Vierzigern, während ein Jahr in den Siebzigern im Nu vergeht.
    Natürlich hätte ich damit rechnen müssen, dass sie mir nachreiste. Wie hatte ich so naiv sein können zu glauben, sie würde es nicht tun, sobald sie irgend konnte? Sie hatte in Südrhodesien im Exil gelebt, von London geträumt, und jetzt … Sie und ihre Tochter »kamen nicht miteinander aus« – oder, um die Wahrheit zu sagen, hatten sich immer bekämpft? Na, wennschon, die Tochter war halsstarrig, sie würde lernen, ihrer Mutter zuzuhören. Sie war Kommunistin? Sie hatte immer despektierliche Freunde gehabt? Das machte nichts, ihre Mutter würde sie mit wirklich netten Leuten bekannt machen. Sie hatte die
Afrikanische Tragödie
geschrieben, was bei ihrer Mutter Zorn und Scham ausgelöst hatte, weil die Weißen das Buch so hassten? Und diese überaus unfairen Geschichten über den Distrikt – also, sie, ihre Mutter, würde allen erklären, dass niemand außerhalb des Landes die Probleme der Weißen wirklich verstehen könne und … Aber die Autorin war im Land aufgewachsen? – Ihre Ansichten waren
falsch
, und im Lauf der Zeit würde sie das einsehen … Sie beabsichtigte bei einer Tochter zu leben, die ihre erste Ehe zerstört und zwei kleine Kinder zurückgelassen und auf dem Höhepunkt des Krieges einen deutschen Flüchtling geheiratet hatte, die eine Kaffernfreundin war und von Religion nichts wissen wollte?
    Nun, wie
sah
sie die Dinge in Wirklichkeit? Heute glaube ich, dass sie nicht viel darüber nachgedacht hat. Sie konnte es sich nicht leisten. Sie sehnte sich danach, wieder in London zu leben. Aber es war das London, das sie 1919 verlassen hatte. Sie hatte dort keine Freundinnen mehr, ausgenommen Daisy Lane, mit der sie Briefe gewechselt hatte, aber Daisy war inzwischen eine alte Dame, die mit ihrer Schwester, einer ehemaligen Missionarin in Japan, in Richmond lebte. Da gab es noch die Familie ihres Bruders, und sie kam gerade rechtzeitig zur Hochzeit seiner Tochter zurück. Die Schwägerin ihres Bruders hatte bereits gesagt: »Ich hoffe, Jane bildet sich nicht ein, dass sie bei der Hochzeit die Hauptperson sein wird.« (Jane, »Plain Jane«, der liebevolle Spitzname der Familie für sie, der die Gewähr dafür bot, dass Maude sich nicht vormachte, sie wäre irgendwie attraktiv.) Und sie hatte meiner Mutter geschrieben, diese habe sich mit einem Platz in der hinteren Reihe zu begnügen.
    Über fünfundzwanzig Jahre: von 1924 bis 1950 . Das war die Zeitspanne des Exils meiner Mutter in Afrika. Jetzt, wo ich das Alter erreicht habe, in dem ich verstehe, dass einem fünfundzwanzig oder dreißig Jahre als nicht lange vorkommen können, weiß ich, dass diese Zeitspanne für sie geschrumpft und die unglückliche Erfahrung, Afrika, zu einer Belanglosigkeit geworden war. Aber für mich damals, kaum über dreißig, kam es der gesamten Länge des mir bewussten Lebens gleich. Für mich lebte meine Mutter in Afrika, gehörte dorthin. Ihre Sehnsucht nach dem Londoner Nebel und vergnügten Tennispartys war in meinen Augen nichts als eine Grille.
    Wie konnte sie mir einfach so nachreisen? Ja, natürlich, es war damit zu rechnen gewesen. Wie konnte sie sich einbilden … Aber sie tat es. Bald würde sie sich diese unvorstellbar enge Treppe hinaufmühen, tapfer lächelnd, in mein Zimmer kommen, die Möbel umstellen, sich meine Kleider ansehen und mir erklären, wie unpassend sie waren, den kleinen Speiseschrank an der Wand betrachten – kein Kühlschrank – und sagen, das Kind bekomme nicht genug zu essen.
    Zu diesem Zeitpunkt trat Moidi Jokl in mein Leben ein, eine Fügung, die so schicksalhaft war, dass ich selbst heute noch über sie staune.
    Moidi gehörte zu den ersten Flüchtlingen vor dem Kommunismus, die in London eintrafen, das damals noch voll war von Kriegsflüchtlingen, die alle zu überleben trachteten, so gut sie konnten. Sie stammte aus Wien, war Kommunistin gewesen, eine Freundin der Männer, die nach dem Krieg aus der Sowjetunion oder von dort, wo immer sie existiert und ihre Zeit abgewartet hatten, zurückkehrten, um die Regierung von Ostdeutschland zu bilden. Sie ging mit nach Ostdeutschland, weil sie eine gute Freundin von ihnen gewesen war. Dann hatte man sie hinausgeworfen, weil sie Jüdin war, eines der Opfer von Stalins Wüten gegen die Juden, das man damals die »Schwarzen Jahre« nannte. Ich habe nie verstanden, weshalb diese Opfer von den Juden nie geehrt und in Erinnerung behalten wurden. Alles ist vom Holocaust

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