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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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ihresgleichen in aller Welt in Verbindung: »Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber man kann nicht für immer in einer Wiege leben« – Konstantin Tsiolkowski. »Wir leben«, hat Arthur C. Clarke gesagt, »in einem einzigartigen Moment der Geschichte – den letzten Tagen der Existenz des Menschen als Bewohner eines einzigen Planeten.« Mein Problem war, dass ich keine Ahnung von Mathematik und Physik hatte – dass ich ihre Sprache nicht sprechen konnte. Ich weiß, dass ich wegen meiner Unwissenheit von den Entwicklungen in den Naturwissenschaften abgeschnitten war – und die Naturwissenschaften sind der Ort, an dem unsere Grenzen liegen in dieser Zeit. Es ist nicht der neueste literarische Roman, in dem die Menschen nach neuen Erkenntnissen über die eigene menschliche Natur suchen, wie sie das im neunzehnten Jahrhundert getan haben.
    Wenn Listen über die besten britischen Schriftsteller seit dem Krieg zusammengestellt werden, dann enthalten sie weder Arthur C. Clarke und Brian Aldiss noch irgendeinen anderen der guten Science-Fiction-Autoren. Es ist die traditionelle Literatur, die sich als provinziell erwiesen hat.
     
    Mit der Zeit schuf ich mir eine Existenz für mich und Peter. Das war eine Leistung, und ich war stolz auf mich. Der wichtigste Teil davon war Peter, der sein Leben genoss, vor allem den Kindergarten in Kensington und die familiäre Atmosphäre durch Joan und Ernest. Kein Kind war so bereit wie er, Freundschaften zu schließen. Unsere Tage begannen nach wie vor um fünf Uhr. Wieder las ich ihm nach dem Aufwachen vor oder erzählte ihm ein paar Stunden lang Geschichten, denn Joans Schlafzimmer lag direkt unter unserem, und die Decken waren dünn, und sie wachte erst wesentlich später auf. Oder er hörte Radio. Wir haben vergessen, was für eine Rolle das Radio vor dem Fernsehen im täglichen Leben spielte. Peter liebte das Radio. Er hörte sich alles an. Er hörte sich, völlig hingerissen vor dem Apparat stehend, zwei auf Romanen von Ivy Compton Burnett basierende Hörspiele an, jedes eine Stunde lang. Was hörte er? Was verstand er? Ich habe keine Ahnung. Ich bin überzeugt, dass Kinder alles verstehen und mindestens ebenso viel wissen wie Erwachsene, bis sie ungefähr sieben Jahre alt sind und plötzlich so stupide werden wie Erwachsene. Als Drei- oder Vierjähriger hat Peter alles verstanden, und als Acht- oder Neunjähriger las er nur noch Comics. Und das habe ich mit kleinen Kindern immer wieder erlebt. Ein Dreijähriger sieht sich hingerissen den Film
2001  – Odyssee im Weltraum
an, aber vier Jahre später kann er nur noch Rupert Bear ertragen.
    Ich schrieb
Martha Quest
, einen traditionellen Roman, obwohl damals experimentelle Romane gefragt waren. Ich spielte in Gedanken hundert Möglichkeiten durch,
Martha Quest
zu schreiben, jonglierte mit Formen, spielte mit der Zeit, aber am Ende von alledem war der Roman geradlinig. Ich handelte meine schmerzliche Jugendzeit ab, meine Mutter, all diese Qualen, den Kampf ums Überleben.
     
    Und nun erhielt ich einen Brief von meiner Mutter, in dem es hieß, sie komme nach London, sie wolle bei mir wohnen und mir mit Peter helfen und – da war sie, die unvermeidliche, die so surreale wie herzzerreißende Mitteilung – sie habe sich das Maschineschreiben beigebracht und wolle meine Sekretärin sein.
    Ich brach zusammen. Ich legte mich einfach ins Bett und zog mir die Decke über den Kopf. Als ich Peter in den Kindergarten gebracht hatte, verkroch ich mich in die Dunkelheit meines Bettes, bis ich ihn wieder abholen musste.
    Und hier stellt sich erneut die Frage nach der Zeit, nach der vertrackten Zeit. Bevor ich daranging, dies hier zu schreiben, und gezwungen war, mich mit Kalendern und halsstarrigen Daten zu beschäftigen, hatte ich angenommen, dass ich schätzungsweise drei Jahre in der Denbigh Road gelebt hatte. Aber das lag daran, dass ich, zum Sehen mit Kinderaugen zurückgekehrt, alles als neu und unmittelbar empfunden hatte. Ich war teilweise in die Kind-Zeit zurückgekehrt. Ganz gleich, wie sehr ich mich auch wand und protestierte, nein, es
kann
nicht nur ein Jahr gewesen sein, es war ein Jahr, bevor ich bei Joan einzog, und dort hatte ich nur ungefähr sechs Monate gewohnt, als der Brief meiner Mutter eintraf. Die Zeit ändert sich mit den verschiedenen Lebensabschnitten. Ein Jahr in den Dreißigern ist viel kürzer als das Jahr eines Kindes – das fast endlos ist –, aber lang, verglichen mit einem Jahr in den

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